Eigentum und Zwang

BillHicks ⌂, Wien, Freitag, 27.02.2015, 21:02 (vor 3631 Tagen) @ Fabio11218 Views

Hi Bill,

Hi Fabio,

danke für Deinen Beitrag.
Für mich ein Beispiel dafür, dass ich - prinzipiell - niemals so schreiben können werde, dass bei meinem Leser das ankommt was ich meine. Beim Leser kommt nun mal immer das an, was der Leser aufnimmt. Und gerade das ist Motivation genug zu versuchen mich so unmißverständlich wie möglich auszudrücken.

Unser Kerndiskussionspunkt ist übrigens - soweit ich das einschätzen kann - der gleiche, den @CrisisMaven und @tar beackern.

Worum also geht es? Gibt es Eigentum ohne Zwang oder gibt es das nicht?

Das ist freilich anders, wenn man sich Märkte als Tauschmärkte
vorstellt, die per se immer da sind und immer als Tauschakteur betreten
werden können. Das ist und bleibt aber eine Vorstellung, die mit der
Wirtschaftswirklichkeit rein gar nichts zu tun hat.


Das sehe ich völlig anders. Mir meiner (Wirtschafts-)wirklichkeit hat es
überhaupt nichts zu tun, überall nur "Märkte" zu sehen, die nur
existieren, weil es den Staat und Steuern gibt, während wir ohne ihn vor
uns her potlatchen
würden, auch mit Chinesen oder Indern und wir zueinader alle schon "passt
scho irgendwie" sagen würden.

Das behaupte ich ganz und gar nicht. Bei abruptem Wegfall der zivilrechtlichen Grundlagen und eines (Sozial-)Staates halte ich einen Rückfall in eine Art Neofeudalismus (sofern der nicht schon da ist) bzw. Warlordismus für das wahrscheinlichste Szenario. Friedlicher Potlatch ist nicht in Sicht.
Aber bleiben wir mal kurz bei der reinen Empirie:

Sind nicht alle Akteuere auf allen Märkten, die wir kennen "Staatsbürger" irgendeiner Jurisdiktion? Oder sind es nicht gleich juristische Personen, die nur deshalb als Vertragspartner akzeptiert werden, weil sie über ein Vermögen größer Null verfügen?
Wo gibt es diesen Markt ohne öffentlichen Einfluss zu beobachten? Wie wird dort verfahren, wenn es Vertragsstreitigkeiten gibt?

[Selbst bei Bitcoin:
Welche Bitcoin-Exchange wird doch gleich nochmal nicht von einer juristischen Person betrieben, die in irgendeiner Jurisdiktion haftbar gemacht werden kann?
Welcher Bitcoin-Zahlungsdienstleister ist kein Unternehmen?]

[Anm.: Unternehmen = KEIN Dinge tauschendes Teilelager, sondern haftende Vermögensmasse (juristische Person), dessen Preis es zu verteidigen gilt, damit die juristische Person weiter bestehen kann]

Der "Keim des Zwanges" ist das Eigentumsrecht. Es ist das Recht andere
(gewaltsam, gleichwohl "rechtmäßig") auszuschließen. Eigentum ist per

se

rechtmäßige Gewaltanwendung, wenngleich die Gewaltanwendung gerade

dann

so gut wie nie offen erfolgt, wenn die für das Eigentum notwendigen
fiskalischen und zivilrechtlichen Infrastrukturvoraussetzungen voll
ausgebildet und etabliert sind.


Inwiefern soll es denn "Zwang" bedeuten, wenn Du nicht über mich und mein
Eigentum verfügen darfst?

Nehmen wir an Deine Frage wird in einem Kontext gestellt, in welchem einem Akteur sämtliches Eigentum gehört (wir nehmen an er hat es rechtmäßig erworben):

Der Mega-Eigentümer fragt: "Inwiefern soll es Zwang bedeuten, dass Du nicht über mich und mein Eigentum verfügen darfst?"

Der Befragte: "Ich möchte weder über Dein Eigentum, noch über Dich verfügen. Allerdings fühlt es sich für mich recht erzwungen an, dass ich überall wo ich gehe und stehe entweder Miete oder Pacht oder sonstige Zahlungen leisten muss. Es fühlt sich für mich gar nicht so an als würde ich diese Zahlungen freiwillig leisten. Wirklich ausweichen kann ich den Zahlungen allerdings auch nicht. Das fühlt sich alles ziemlich erzwungen an..."

Freilich könnte man schlicht behaupten es gäbe ganz grundsätzlich keine Konzentration von Vermögen (= bepreistes Eigentum), das zu behaupten ist allerdings aus empirischen Gründen schwierig geworden (vgl. "Heute besitzen 80 Menschen auf der Erde genauso viel wie 3.5 Milliarden Menschen! Im Jahr 2010 waren es noch 388 Menschen" Anm.: im Post ist die Zahl 388 fälschlicherweise als 88 angegeben)

Es bleibt noch zu behaupten: die Konzentration von Vermögen gibt es nur wenn der Staat eingreift, "der Markt" - ohne Eingriff - würde für eine Gleichverteilung der Vermögen sorgen. Möglicherweise gibt es präpolitisches Eigentum, präpolitisches Vermögen (Bepreistes Eigentum mit Preis > 0) gibt es genauso wenig, wie es ein solches ohne Verschuldung gäbe.
Der einzige Eingriff, die Schaffung des Eigentums + das Ablaufen von Zeit reichen für eine Konzentration der Vermögen völlig aus (eine einigermaßen gute Intuition davon erhält man beim Spielen von "Monopoly", weshalb ich die Konzentration von Eigentum auch mal als Monopoly-Effekt bezwichnet hatte). Siehe dazu Beitrag von Luta, bzw. gleich hier seine Simulation.

Man kann das Ganze wissenschaftlich verklausuliert ausdrücken und dann würde man wohl von der "Eigentumsprämie" reden, die nun mal nur dann existiert, wenn das Eigentum existiert. Diese Prämie ist also eine, die dem Eigentümer zusteht, sie wird ihm aber von der Öffentlichkeit ermöglicht. Man denke an den freien Bauern der post-mykenischen Griechen (Polis): die erfolgreichen Anti-Feudalrevolutionäre wollen diesmal alles anders machen, sie wollen nämlich nicht, dass einem alles gehört, also verteilen sie das Land "fair". Aber nicht nur das. Sie sprechen dem Einzelnen nicht nur das Land, sondern auch ein Recht auf das Land zu. Ein Recht das nach innen und außen von allen für den Einzelnen verteidigt wird.
Das ist, rechtmäßige, Gewalt(androhung), i.e. Zwang.

"Gewalt" wird doch nur zur Verteidigung gegen
initiierende Zwang/Gewalt angewendet? Ja, ich darf Dich aus aus meiner
Hütte, aus meinem Körper, aus meinem Leben ausschließen und Du darfst
nicht EINDRINGEN, sonst lernst Du mich kennen(ob ich mich dann erfolgreich
WEHREN kann, ist eine andere Frage).

In den Beispielen, die Du bringst, überwiegt die Verteidigung von Besitz. Deine Hütte, dein Körper usw.
Davon sollte der Staat und auch sonst jeder (dafür wiederum sorgt der Staat idealerweise) die Finger lassen! Für konkrete Zahlen, siehe Posting-Ende.

Besitzer der Welt zu werden geht nicht. Eigentümer der Welt zu werden geht hingegen prinzipiell schon (in der Theorie - lange vorher gibt es Mord und Totschlag).

Nein, das ist kein "Zwang", in
irgendeinem Sinn, der mir geläufig ist - und selbst wenn: dann zwinge ich
Dich eben die Finger von mir zu lassen. Und nein, ich "besitze" mich selbst
nicht bloß, ich bin mein Eigentum.

Ja, es sollte definitiv jeder von jedem die Finger lassen. Im Bestreben (rechtmäßiger) Eigentümer der Welt werden zu wollen (z.B. ist die Ansage 25% EK-Rendite anzustreben ein solches - implizites - Bestreben, denn wann hat das Welt-Vermögen zuletzt um 25% zugenommen?) lässt man die Finger eben gerade nicht von anderer Leute Eigentum (die ihres dann nämlich - rechtmäßig - verlieren...).

Ganz ehrlich: wenn ich Dich nicht kennen würde und nicht wüsste, dass Du
es nicht so meinen KANNST (hoffe ich), dann wäre ich jetzt noch
entsetzter, weil GENAU diese Sichtweise für mich Despotentum und Barbarei
Tür und Tor öffnet.

Ein super Beispiel dafür wie gut es ist Kontext über den Diskussionspartner zu haben. In textbasierten Diskussionen kaum möglich zu erlangen. Umso besser, dass es diesen in unserem Falle gibt - das gilt aber freilich nicht für die anderen Leser unserer Diskussion. Da werd ich dann für die einen der enteignungsapologetische Sozialist und für die anderen ein Eigentumsfanatiker sein. Macht nix [[top]]

Nur dass wir uns richtig verstehen:
Ich bin heute ausdrücklich pro Eigentum, pro Zivilgesellschaft. Die Eigentumsverfassung sollte erhalten bleiben. Meine These jedoch ist: unreflektierter Eigentumsschutz führt langfristig zur Abschaffung des Eigentums! (Von ökologischen Auswirkungen nicht-geschlossener möchtegern Stoffkreisläufe möchte ich an der Stelle erst gar nicht reden - Eigentumsabschaffung hilft da eben gerade nicht! Dann ist nicht nur alles voller Müll, sondern die Menschen auch noch arm...)

Wie Steiger sich ausdrückte führte die Verwechslung von Besitz und Eigentum dazu, dass das Recht auf Eigentum regelmäßig mit einem Recht auf "ungezügelten Reichtum" (siehe §4) verwechselt wurde.

Dann mach ich echt lieber den "John Galt" und die umverteilenden Have-Nots
können selber schauen, was es so zu verteilen gibt.

Mir wäre es - ganz ernsthaft - am liebsten man könnte einfach bloß das Recht auf Eigentum einführen und dann ließen sich alle in Ruhe, die sich in Ruhe lassen wollen und diejenigen, die Geschäfte miteinander machen wollen, machen eben das.
Und das geht zeitweise auch recht gut. Aber halt nicht langfristig.

Es geht langfristig gut mit einer Tauschtheorie... aber die hat halt mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Wenn Du mich konkret befragst was denn nun wohl zu tun wäre?
Vorschlag:
Besteuerung von Einkommen unter 250.000 € senken (unter 100.000 € sollte kaum Einkommensteuer gezahlt werden müssen), Einkommensteuer für Einkommen über 250.000 € dementsprechend anheben (Ach, Mme. Lagarde, sie wollen weiter lieber gar keine Steuern zahlen? - aber sie ist ein winziges Licht verstehen wir uns nicht falsch...).
Besteuerung von Vermögen ab 200 Millionen € bis 500 Millionen € von 50% auf 99% anheben.
Vielleicht gibt es Untersuchungen, die fundiert darlegen ab welchem Vermögen, die bloße Vermögensgröße mehr oder weniger automatisch dazu führt, dass der Mega-Eigentümer, bzw. sein Vermgögen, "politisch" wird.
(Die 500 Mio. € sind reine Intuition im konkreten Fall möglicherweise "ungerecht", weil es sicher den ein oder anderen Milliardär gibt, der mit seinem Geld sinnvollere Dinge anzufangen weiß als alle anderen zusammen.)

"Latifundia italiam perdidere" (Plinius d. Ä.)

Fabio

Beste Grüße

--
BillHicks

..realized that all matter is merely energy condensed to a slow vibration – that we are all one consciousness experiencing itself subjectively. There's no such thing as death, life is only a dream, and we're the imagination of ourselves.


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung

Wandere aus, solange es noch geht.