Polis = neue Rechtsperson, wie soll diese sich sebst schaffen bzw. vorfinanzieren?

Ashitaka, Samstag, 15.08.2015, 17:53 (vor 3462 Tagen) @ Fidel9120 Views
bearbeitet von unbekannt, Samstag, 15.08.2015, 17:57

Hallo Fidel,

oder zogen Freiwillige mit dem Klingelbeutel durchs Land? Ein paar Überlegungen, mit der Bitte um Ergänzung.

Dass die Zentralmacht als Voraussetzung für ein funktionierendes
Geldsystem vor jeden theoretischen Erklärungsansatz gestellt werden muss,
wird neben der Institutsgarantie des Eigentums auch vor allem durch das
Schuldrecht und seine den Kontrakt zwischen Privaten garantierenden
Vorläufern klar. Weder Eigentum, noch Schuldverhältnisse sind ohne
Machtordnung machbar.


Geht Heinsohn nicht in diesen Zeilen darauf ein?
Für die Verteidigung des Eigentums gegen feudale Übergriffe und
vertragsbrüchige Gläubiger oder Schuldner
aus den eigenen Reihen
schaffen sie sich deshalb staatliche
Gewalt-Instanzen
.

Heinsohn geht genau den umgekehrten Weg. Er sieht die Schaffung der Poleis (Staat, Rechtsperson) als einen durch gesellschaftlichen Druck erzwungenen Akt ("...schaffen sie sich deshalb..."). Wir müssen aber, wie Martin es bereits erklärte, berücksichtigen, dass es sich bei der Polis um eine völlig neue Rechtsperson (erst danach Rechtsräume gewann) handelte, die nur aus einer bestehenden und vorfinanzierten Zentralmachtordnung (Vereinigung Königreich / kephale Stämme), durch Machtzessionen (Rechtssetzung) entstehen konnte. Die Machthalter hatten ein finanzielles und damit existenzielles Problem, dem durch Zusammenschlüsse der alten Ordnungen und gleichzeitiger Machtzession und Machtkreislauf des Geldes begegnet wurde. Natürlich sieht es für alle Denker der Zeit so aus, als hätte das Volk eigene Dezentralmachtpositionen genutzt. Das glaubt man nur solange, wie man sich die Frage der Vorfinanzierung nicht beantworten will. Die Party ist eben nur solange möglich, wie die Vorfinanzierung der weiterhin existenten Zentralmachtordnungen, die Abgabenhoheit einer Zentralmacht, gewährleistet wird. Und Vorfinanzierung, das greift eben auch vor die Entstehung der Polis.

Schon in der archaischen Zeit gab es die alles verwaltenden Finanzverwalterstäbe. Abgaben und Redistribution mussten durch Gewalten auch während der Vereinigungen und Rechtsetzungen ermöglicht werden. Durch solche Stäbe wurden auch nach Installation der anfangs oligarischen Poleis die öffentlichen Kassen verwaltet (Zentraltempelanlagen auf der Akropolis). Steuern wurden dafür noch und nöcher erhoben. Ohne Bürgerrechte gabs Kopfsteuern, ansonsten Verkehrssteuern, ad hoc Steuern der Zensusklassen und Pachteinnahmen. Wie Martin schon richtig stellte: "Nicht die "polis" schafft sich die "akro-polis", sondern die "akra" (Spitze, Höhe, Burg) schafft sich die "polis".

Wir dürfen halt niemals den (vor)finanziellen Untergrund der Poleis vergessen (die Fähigkeit, eine neue Rechtsperson durch Zentralmachtordnung vorzufinanzieren). Unterschied zur archaischen Zeit: "Die Finanzverwaltung der öffentlichen Geldeinheiten erfolgte nun durch Magistrate, die dem Rat und der Versammlung rechenschaftspflichtig waren. Eine solche Rechenschaft hat es vor den Polis nicht gegeben. Das Königstum wurde schon in der archaischen Zeit nach und nach durch Sakralämter und oberste Beamte (Archonten) ersetzt.

Wie Rostovtzeffs feststellte, brachte der Anschluss an die Poleis für die Bauern erhebliche Statusverbesserungen mit sich (persönliche Freiheiten und Rechte, auch in Bezug auf die Abgabenlast). Solon verhalf schließlich zum Durchbruch der Machtzession und konnte die Interessen der noch immer großen Einfluss auf die Poleis ausübenden Großgrundbesitzeraristokratie deutlich mäßigen.

Der letzte Satz deutet etwas an, was wie ich vermute zu den Zielen
gehört, die Du herausarbeiten willst:

Die "Gewalt-Instanzen" mögen nicht weniger gefürchtet werden als
zuvor die Grossbesitzer auf ihren machtvollen Zwingburgen
.

Es wurde halt nur den mykenischen Königen (Machthaltern) die Macht entrissen, nicht aber die Zentralmachtordnung beseitigt. Im Gegenteil, sie wuchs. Und mit ihr auch die Verschuldungen. Diese zentrische Ordnung (Machtzession durch wenige Halter an bisher ohnmächtige Massen) gewann erst richtig Fahrt und schuff durch die Rechtsetzung (Eigentum) gewaltige Handlungsräume und Befähigungsebenen (siehe Solon), die sich bis weit in die Kolonien erstreckten.

Die Frage nach der Sicherheit -unseres- Eigentums stellt sich, wenn
Staaten ihre regel/gesetzestreue verlassen um das Überleben einzelner
Personengruppen zu gewährleisten. Der Wechsel in totalitäre Strukturen
mit der Vernichtung von Initiative stellt meiner Meinung nach die
eigentliche Gefahr der Entwicklung dar.

Ja, sobald die Machtzession aus der Zentralmachtordnung an die Massen zurückgefahren wird, wird es hier sehr ungemütlich.

Herzlichst,

Ashitaka

--
Der Ursprung aller Macht ist das Wort. Das gesprochene Wort als
Quell jeglicher Ordnung. Wer das Wort neu ordnet, der versteht wie
die Welt im Innersten funktioniert.


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