Heinsohnsche Posaunentaubheit

Ashitaka, Montag, 10.08.2015, 00:47 (vor 3468 Tagen) @ tar10080 Views
bearbeitet von unbekannt, Montag, 10.08.2015, 00:52

Hallo tar,

vorab: Natürlich haben H/S uns viel gegeben und sind unverzichtbar für den Erkenntnisprozess in Bezug auf Eigentum, Zins und Geld. Da haben sie sehr viele Prozesse scharf beschrieben. Dennoch ist ihre Theorie nur ein Teil, um das System zu verstehen. Die Machttheorie von Dottore sollte nicht außer acht gelassen werden.

Was Dottore mit seinem Macht-Paper messerscharf erklärt, sind die
Geburtsstunden derjenigen Adern des Debitismus, aus denen Abgaben- und
spätere Kontraktschulden erst entstehen können. Wir erkennen dank der
zahlreichen Aufarbeitungen in diesem Forum, dass zwischen

Heinsohn/Steigers

"Eigentumsökonomik" und dem Debitismus nach Paul C. Martin ein
himmelweiter Unterschied besteht und man diese beiden Theorien deshalb
nicht miteinander gleichsetzen können wird. Die Voraussetzungen für
Eigentum und Kapitalismus bilden eben keine privaten Freien, wie sie bei
H/S "mal eben so da" rumturnen, sondern immer und ausschließlich auf
Zentralmachten/Zwingherren und deren Gewaltanwendungen und

-androhungen.

Bei Heinsohn sind "die Freien" nicht "mal eben so da", sondern selbst aus
widrigen Umständen Getriebene. Ursprünglich durch Katastrophismus von
matrilinearen Stämmen vertriebene Männer, die sich zusammenschlossen und
patriarchaische Strukturen bildeten.

Das "mal eben so da" bezieht sich auf "ohne eine die Freien erst begründende Zentralmacht". Oder anders ausgedrückt, Heinsohn sieht es, wie du bereits angemerkt hast, als einen Zusammenschluss (Bob: Schaffen wir das? Alle zusammen: Ja das schaffen wir!), statt als Unterwerfung durch externe (d.h. bisher nicht auf die Machtverhältnisse einwirkende) Zentralgewalt/-instanz.

Im Zuge der Sicherung ihrer
Kalorienzufuhr kam es zur Eigentumssetzung, die mit Gewalt
durchgesetzt wurde (Legende: "Romulus erschlägt Remus, der die Grenzen
missachtete").

Dottore dazu am 14.07.2002: "Gunnar hebt so gern auf die Gründung Roms ab ("roma quadrata"), die er völlig richtig als revolutionären Akt interpretiert. Dass dabei Remus erschlagen wurde, hätte ihn stutzig machen müssen. Romulus war eben der neue Machthaber. Heinsohn (GuZ, 18): "Aber die, die mit dem Eigentum angefangen haben, sahen nicht voraus, dass sich sich damit die Basis für Zins und Geld eingebrockt hatten." Stimmt. Aber die Basis unterhalb der Basis, jene, auf der Eigentum, Zins (Abgabe zunächst, erzwingbar, dann Privatzins, vollstreckbar!) und Geld (Abgabengut, stets macht-definiert bis heute!) überhaupt nur liegen können, ist nun eben Macht.
Rekonstruktion heißt re-construere. Jede Struktur hat eine Basis oder sie ist keine. Das Ergebnis meiner Buddelei (Dank vieler, schon erwähnter Hilfen, gerade auch aus diesem Forum!) war für mich nicht minder überraschend als es Archäologen ergeht, wenn sie unter "früheren" heidnischen Schichten"spätere" christliche finden, o.ä"

Der Unterschied von H/S zu PCM liegt meiner Meinung nach vielmehr in der
ursprünglichen (mit Gewalt durchgesetzten) Sicherung dieser
Eigentumsgrenzen durch eine ursprünglich "freie" Gemeinschaft
("staats-/herrschaftsfreie Gemeinden, die gemeinschaftliche
Angelegenheiten in Bürgerversammlungen regelten", folgenden Link lesen)
oder einer Zentralgewalt?

Exakt. Martin wurde glücklicherweise darauf aufmerksam, dass Romulus nicht nur den Startschuss für Eigentum durch Gewalt gesetzt hatte, sondern das er das Schwert weiterhin fest in seiner Hand hielt und herrschte. Warum? Da Eigentum immer nur Sachherrschaft im Rahmen einer Rechtsordnung ist, musste Romulus eben nicht nur Remus erschlagen, sondern gegen alle Machtwilligen seine Herrschaft verteidigen, eben dadurch, dass er sich das Recht weiterhin nahm (Zentralinstanz), indem er sich dazu gegen Extern und Machtgier anderer berechtigte. Die dadurch geschaffene Zentralmachtordnung ist die eigentliche Zeit überdauernde Basis des Eigentums, nicht der Startschuss (Gewalt). Denn, Romulus hätte das Schwert genausogut wegwerfen können, der Schlag gegen Remus bliebe derselbe, ohne anschließendes Eigentum.

Da bin ich selbst unsicher, denn die gerade
eben
überwundene feudalistische Zentralgewalt hat sich wahrscheinlich
parallel wieder neu in anderen Strukturen entwickelt
(Tyrannis erst
nach Schuldenkrise + Solon
).

Die Zentralgewalt ist für mich das Kind der Zentralmacht. Ohne Zentralmachtordnung als Basis ist Zentralgewalt nicht ausübbar, fehlen die Strukturen, die für weitere Gewaltausübung notwendigen Be- und Entmächtigungen.

Die Eigentumsprämie bei H/S ist vollkommen immateriell! Da muss
niemand was bezahlen - erst bei Kompensation dieser immateriellen
Sicherheit (die sich durch potentiellen Verlust der Kalorienzufuhr,
Sicherung der Unterkunft, etc. materiell manifestiert) durch
risikobehaftetes Belasten/Verleihen/Verpfänden.

Die Eigentumsprämie selbst wirft nichts ab. Egal ob nun die Vorstellung eines Vorteils, Anteils oder Gewinns, es fehlt die Realisation. H/S erklären eben nicht, durch welche Einheiten die Bezahlung der Prämie denn nun basal begründet wird. Nicht bezahlte Prämien ergeben alleinstehend, ohne Realisation, keinen Sinn.

Weshalb Privateigentum belastet wird und sich der Gläubiger eine
Blockierung entschädigen lassen muss (Prämie/Zins verlangt), über die
Antriebskraft, darüber ist in H/S's Theorie nichts zu finden.


H/S nicht verstanden. Bitte lies
Privateigentum,
Patriarchat, Geldwirtschaft. Eine sozialtheoretische Rekonstruktion zur
Antike
und
Eigentum,
Zins und Geld: Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft
.

Über die Antriebskraft "Abgabenforderung durch Zentralmacht" wird nach mehrmaligem lesen nichts klares geschrieben. Kannst du mir da genauere Fundstellen zeigen? Wo erklären H/S etwas über die Basis der Entstehung der für die Bezahlung notwendigen standartisierten Einheiten?

Es wird uns
stattdessen eine bereits irgendwie vorhandene nebulöse Notlage des
Privateigentümers untergeschoben, die ihn halt einfach (grandiose
Simplifikation) zur Belastung zwingt.


Es ist wahrscheinlich besser anhand des Lollardenaufstands und dessen
Nachwirkungen nachzuvollziehen (= neuzeitliche Eigentumssetzung).

Was nachzuvollziehen tar? Das sind doch Zersetzungen des Eigentums (Von wenigen Eigentümern zu vielen) und ist nicht mit der Setzung des Eigentums im institutionellen Sinne zu vergleichen. Teilen und neu vermessen geschieht noch heute im Sinne der Zentralmacht (Bewahrung des Zins-Monopols). Da bin ich ganz bei Dottore:

Dottore: "Auch dieses ist Standard der Geschichte: Der Autokrat wird immer von einer Oligarchie abgelöst bzw. das Patriziat (Macht auf kleine Gruppen verteilt) von Plebejern, Grundherren von Leibeigenen (Lollarden, usw.), Ausbeuter von Ausgebeuteten, usw., usw. in vielfachen Varianten."

Dass aber jemand, der in Not geraten ist zu 99% keines Kredites
(Vertrauen) würdig ist, solche Ausflüge in die Realität wollten H/S
ebensowenig zur Kenntnis nehmen, wie sie erklären konnten, weshalb auch
die Personen, die nicht in Notlagen geraten, tagtäglich ihr Eigentum
belasten.


Wirtschaftsantrieb #1: Schutz vor Eigentumsverlust = Erhalt der
immateriellen Eigentumsprämie.

Und ein weiter Bogen um die zur Basis der Wirtschaft und des Eigentums, des ganzen Rumgezuckes führenden Frage: Wer bezahlt diese Prämie überhaupt und wie kommen wir an diese für die Zählung notwendigen Einheiten? Was ist die Antriebskraft für die Entstehung dieser Einheiten, die wir auch als Geldeinheiten bezeichnen. H/S bieten Prämien an, ohne die Voraussetzungen für die Bezahlung der Prämie zu erklären. Wen interessieren Prämien, wenn der Vorteil, Anteil oder Gewinn, sowie auch der Verlust der Prämie nicht bezahlt werden kann. Niemanden.

Uns Debitisten geht es im Gegensatz zum Eigentumsökonomiker um
die Systemfrage: Was zwingt die Menschen ursächlich und systematisch (d.h.
von Anfang an und zeitlich regelmäßig wiederkehrend) dazu?


Das ist bei H/S und PCM identisch: die Kalorienzufuhr.

Nein, das ist, wie Dottore selbst erklärt hat, nicht identisch.

Dottore: "Es bleibt aber eine Schalmeientheorie (Friede, Freude, Eierkuchen, Freie, Freiwilligkeit, usw.), die den Schuldendruck zwar hereinbittet (aber, bittschön, nur den justiziablen privaten) und völlig klar durchexerzeiert, aber eben den Schuldendruck ex nihilo (coercive power; dabei Obereigentum der HERRschaft als coercive asset) nicht behandelt, sondern nur die Ergebnisse der obrigkeitlichen Besicherungs- und Erzwingungsmöglichkeiten, von denen der Privatektor bei dessen staatsinduziertem Wirtschaften "profitiert"."

Die Antwort: Formlose Macht und formelle Herrschaft, in der erst die
Machtzession an die Untertanen den Glauben in die Legitimität des
Machthalters erweckte.


Bei H/S: die Machtzession an und innerhalb der "freien" Bürger
(privilegierte Eigentümer), allerdings keine Zentralgewalt.

Privilegiert wodurch?

Dottore: "Machterhalt! Der Vorgang ist unter dem Stichwort Privileg bekannt. Dabei wird Einzelnen oder einer Gruppe eine Ausnahme vom geltenden Zustand zugeschanzt. Der Privilegierte (privus = einzeln, lex = Recht) hat hinfort einen Vorteil (herausgehobene Stellung, usw.) gegenüber dem Rest. Diesen Vorteil erkauft er sich entweder direkt oder per Zusicherung späterer Leistungen zugunsten dessen, der ihn privilegiert hat."

Martin bietet mit seiner Machttheorie (als Voraussetzung für die
wichtigste Ader des Debitismus (Abgaben-/Kontraktschuld) einen donnernden
Ansatz, der den Klassikern und Eigentumstheoretikern aus einem bestimmten
Grund nicht schmecken kann: Es ist die Bewusstwerdung, dass wir
vergewaltigt wurden, vergewaltig werden und das ganze System schließlich
nach einem Wartemodus wieder in Gewalt enden wird! Die Antriebskraft aller
Kontraktschulden ist nach Martin die Abgabe (Zinnß) an die
Zwingherrschaft, eine nichtkontrakliche Schuld (ex nihilo!). Der
Zinnß-Treiber ist in erster und letzter Konsequenz der zunächst
angedrohte und im Falle der Sanktion ausgeführte Waffeneinsatz.


Ich sehe keine allzugroße Diskrepanz, da die privilegierten Eigentümer
natürlich ihre Macht gegenüber nicht privilegierten und untereinander
durchsetzten.

Ich sehe große Diskrepanzen. H/S lösen zahlreiche WIE-Fragen, machen aber ganz geschickt einen Bogen um die das System erst vollumfänglich begreifbaren WARUM-WOHER-Fragen. Die Basis des Systems (Zentralmacht, Machtzession zwecks Verteidigung der Zentralgewalt, Abgabenzwang) wird bei H/S, wenn wir ehrlich sind, nicht hergeleitet. Wie Dottore schon ähnlich bemerkte stehen H/S direkt vor den lauten Posaunen und hören diese nicht. Good Will, EInkunftserzielungsabsicht, was auch immer mag dafür verantwortlich sein. Wir wissen es nicht.

Herzlichst,

Ashitaka

--
Der Ursprung aller Macht ist das Wort. Das gesprochene Wort als
Quell jeglicher Ordnung. Wer das Wort neu ordnet, der versteht wie
die Welt im Innersten funktioniert.


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung

Wandere aus, solange es noch geht.