Ergänzung: Die Aufhebung der Philosophie in der Naturwissenschaft. Vom Ende ALLER Kultur (mT)

melethron, phase space, Samstag, 28.02.2015, 15:04 (vor 3941 Tagen) @ Dragonfly22358 Views

Hey Dragonfly,

Ja, das war mir bekannt.

Ich möchte für diese Verständnis von Leben mal noch mehr Parallelen zu meinem philosophischen Denken zeigen und meine Spekulation ein wenig vertiefen. Für Hegel war Leben ein sich auf sich selbst Beziehendes, wie er es sagen würde. Oder von hier (fett ist bei Hegel kursiv):

"Die Idee ist die Vernunft, das Subjekt- Objekt, die Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Seele und des Leibes, sie ist ewige Schöpfung, welche dies alles in sich unterscheidet, sie ist wesentlich »Prozeß«. Die unmittelbare Idee ist das Leben."

Man muss Hegels monistischen Pantheismus (Geist) auch immer unter dem Aspekt sehen wie "plump" der Materialismus (und Formalismus) der damaligen Zeit war. Man konnte Planetenbahnen oder fallende Äpfel berechnen. Der Fülle des Lebendigen konnte man damit aber nicht gerecht werden. Hegel hat beim Denken über Denken (oder besser Beobachten des Denkens) wie kaum ein anderer die Selbstreferenzielle, die Prozesshafte Struktur des Denkens und Lebens erkannt. Er sah schlicht alles als Prozess. Der Begriff der Materie machte für so etwas keinen Sinn. Hegel hatte wie Hans-Peter Dürr ein Problem mit der Apfelpflücksprache.

Klar hat Hegel dann auch versucht das Prozessuale, das er erfasst hat, dann in scholastischer Manier mit dem christlichen Glauben zu vereinen. Auch um sich mit seiner Kultur "auszusöhnen". Sein System ist Ideologie, was aber nicht die Idee entwertet. Aber Hegel war auch klar, dass er eben nur immer Kind seiner Zeit sein konnte.

Ebenso auch "Dinge" wie Weltgeist. Da darf man sich kein "Gespenst" vorstellen, dass irgendwo sitzt und lenkt. Weltgeist ist als eine Art Massenpsychologie zu verstehen. Als ein emergente Phänomen der Menschlichen Interaktionen untereinander. Wenn ich mir den "Weltgeist" naturwissenschaftlich denken will, dann am ehesten als entropische Kraft. Da ist keine Kraft die die Wärme lenkt und doch bewegt sie sich gemeinsam auf ein Ziel zu. Ein emergentes Phänomen. Hegel hat in seiner "Geschichtsbetrachtung" quasi versucht nun alle "atomistischen" Einzelereignisse der Geschichte auszublenden und einen Gemeinsamkeit historischer Konflikte zu inneren Konflikten erkennen zu können. Eine Art Top-Down Analyse der Geschichte. Kriege und Konflikte als eine Art "Kognitive Dissonanz" des Weltgeistes, ständig bestrebt diese aufzulösen.

Das darauf hin Marx mit seiner Buttom-Up Analyse kommt ist dann sogar mit Hegel verständlich. Hegels Philosophie impliziert den Konflikt mit seiner Philosophie. Weswegen eben auch Marx meinte, dass es nach Hegel keine Philosophie mehr geben könnte. Alles weitere sind nur noch Fußnoten und Randnotizen. Hegel impliziert Marx.

Marx meint dann eben zu Hegel: "Hey alter komm mal runter, eye! Das sind Menschen die Kriege führen und elendig verrecken. Da sind Kinder die in Minen arbeiten, damit ein paar fett genährte Ärsche ihr Leben genießen können. Aussöhnung mit Geschichte ist nicht, wenn du an Hunger leidest."

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Was das mit Entropie und dissipativen Strukturen zu tun hat?! Abwarten, kommt.

Die darauffolgende Jahre waren dann wesentlich von "Kognitiven Dissonanznen" des Weltgeist gekennzeichnet, die ich jetzt mal nicht weiter kommentieren will.

Springen wir in die Zeit nach 1989 und den Kindern jener Zeit. Ich selber bin Jahrgang 1983 und haben von den großen Ideologien nicht wirklich was mitbekommen. In der Schule hab ich gelernt, dass der Kapitalismus bzw die bürgerliche Gesellschaft gesiegt hat und später lernte ich sogar, dass Fukuyawa das Ende der Geschichte ausgerufen hat.

Aber ist das wirklich so. Wie viel bürgerliche Gesellschaft ist denn noch übrig? Die Familie (als Institution) ist zerschlagen, der christliche Glauben liegt in Trümmern, "abendländische Werte" gibt es quasi nicht mehr bei den unter 30 jährigen. Apolitisch, unkritisch, ahistorisch. Gänzlich Kulturlos eben und dort wo noch Kultur zu sein scheint, ist wesentlich nur Unterhaltung.

Für Oswald Spengler war das Abendland charakteristisch faustisch:

"gewaltig ins Unendliche strebend, historisch denkend"

Welcher jugendliche oder Junge Erwachsen ist noch historisch denkend? Wer identifiziert sich noch mit der eigenen Kultur über die Geschichte? Klar gibt es den Nationalstolz etwa bei Fussballspielen. Aber das ist keine kulturelle Identifikation sondern eine rein soziale. Die Geschichte ist einfach egal geworden.

Auch das gewaltig ins Unendliche strebende ist vergangen. Dieses Streben, dass sich wohl im Suchen nach "Endlösungen" am Deutlichsten zeigte, gibt es nicht mehr. Die Spaßgesellschaft sucht nicht nach Lösungen. Sie hat nicht mal mehr ein Problembewusstsein und wenn ein Problem auftaucht wird es auf dem Weg des geringsten Widerstandes gelöst.

Am deutlichsten sieht man den Untergang am Zusammenbruch des Christentums. Als Nietzsche den Tod Gottes verkündete blieb noch das faustische Streben ins unendliche. Dort wo in den abrahamistischen Religionen der zukünftige (oder widerkehrende) Messias stand, stand bei Nietzsche der zukünftige Übermensch. Auch ihm galt der Mensch ihm als Maß aller Dinge. Was ist in unserer Akultur denn noch übrig vom Warten auf den Mesias. Eine vollkommene Leere die im Existentialismus (der Vorbote des Kollaps) und dem absurden Theater seinen Ausdruck findet.

Aus dem Warten auf den Mesias wurde das Warten auf Godot.

Das Abendland ist längst untergegangen. Es weiß es nur nicht. Was übrig bleibt sind die manigfaltigen Spasmen eines längst nekrotischen Organismus.

Aber was hat das nun mit Entropie zu tun....?

Es scheint die Brücke zu sein zwischen Materialismus und Idealismus. Zwischen toter Materie und lebendigem Geist. Zwischen Buttom-up und Top-Down. Zwischen Atomismus und Holismus.

Und es ist nun vielleicht gar der Todesstoß für den Animismus. Die letzte Säule unserer Kultur. Nein! Die letzte Säule ALLER Kultur. Das Lebendige ist tot und das Tote lebendig. Die Realität schmeichelt nicht.

Mir scheint als müssen wir der Scheisse in die Augen sehen. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten wir ein so großes Kulturvakuum. Noch nie war die Welt so sehr entzaubert. Und noch nie hatten wir so gute Werkzeuge um die Probleme der Realität anzugehen oder um vor der Realität zu flüchten.

Jemand der noch nie ein Oculus Rift Headset auf hatte ahnt nicht im geringsten was mit Virtual Reality auf uns zu kommt. Ich hab die Zukunft gesehen. Diese Technologie ist anders als alles andere zuvor, denn man bekommt wirklich das Gefühl an einem anderen Ort zu sein. Bei allen Technologien zuvor, seien es Bücher, Radio oder Film, musste man sich in den Inhalt hineinversetzen. Bei diesem Medium muss man sich gegen den Eindruck wehren wirklich dort zu sein, denn es das erste Medium das direkt auf das Stammhirn wirkt und die Instinkte anspricht (presence). Wer glaubt, das sei nur die Steigerung von 3D Kino der irrt gewaltig. Ich weiß wirklich sehr genau wovon ich spreche: Ich selber versetze Menschen mit diesen Technologien nur auf ganz reale archäologische Ausgrabungen, aber ich weiß eben auch wie es sich anfühlt Kapitän eines Raumschiffes zu sein und die Fülle der Möglichkeiten macht mir irgendwie Angst.

Noch nie gab es auch nur im Ansatz Möglichkeiten so sehr zu flüchten oder hinzusehen.

Was wird passieren mit diesem Kultur-Vakuum?! Nutzt die Menschheit die Chance der A-kultur um der Wirklichkeit ins Auge zu blicken. Lösen wir die Probleme der Resourcenallokation analytisch wie ein Ingenieur oder lassen wir uns von irgendwelchen Ideologien leiten.


Das Spektrum der Möglichkeiten für die Zukunft ist immens. Von der Utopie in der Milch und Honig fließen bis zur Dystopie in der ein Stiefel für immer ins Gesicht eines Menschen stampft.

Was kommt, wenn die Kultur untergeht?! Ich hab keinen blassen Schimmer. Ich weiß nicht mal ob ich Recht habe mit meiner kulturphilosophischen Spekulation (und als mehr als eine Spekulation darf man das auch nicht sehen). Ich betrachte nur mit ambivalenten Gefühlen das Treiben auf der Welt und fühle mich irgendwie als warte ich auf Godot.

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Grüße
melethron

--
„It’s the Second Law of Thermodynamics: Sooner or later everything turns to shit.“ - Woody Allen


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