"Über die Entstehung der Arten... durch Entropie" - Von einem neuen Paradigma und dem Untergang des Abendlandes (mT)
Hallo zusammen,
Ich bin gerade eher zufällig darüber gestoßen als ich nach neuen Erkenntnissen zu "entropic gravity" suchte. Das ist zwar schon etwas älter, aber außer im Nachrichtenüberblick fand ich über die Suche nix. Da das aber nichts geringeres wäre als der größte Durchbruch seit Darwin selbst, wollte ich das kurz erwähnen (wobei im Laufe des Schreibens der "kurzen Erwähnung" sich daraus noch eine kulturphilosophische Spekulation entwickelte).
Fragestellungen zum Zusammenhang von Leben und Entropie gibt es schon länger und der Zusammenhang wird schon lange geahnt. An dieser Stelle sei einfach mal auf diesen (englischen) Wikipedia Artikel verwiesen.
Überlegungen, dass Evolution sogar eine "Entropische Kraft" sein könnte, gibt es auch schon länger. Über heuristische Überlegungen kamen diese aber nie wirklich hinaus. Über eine solche Arbeit habe ich hier berichtet (siehe auch hier).
Zu dissipativen Strukturen findet sich auch ein paar Sachen von Kurt im Forum. Leider findet man von anderen auch Unfug bei dem Unverstanden bleibt, dass "Akkumulation ohne Schulden" auch ganz ohne Zivilisten passieren kann und die "Selbstregulierung" der Natur keineswegs so harmonisch ablaufen muss, wie mancher einem weiß machen will. Also am Besten genau prüfen und im Zweifel lieber selber recherchieren und sich ein eigenes Bild machen.
Das Neue an dieser Arbeit von Jeremy England ist nun, dass es nicht um den bekannten Zusammenhang Entropie (bzw Freie Enthalpie) und Evolution geht, sondern, dass er vielleicht den Mechanismus für die erste Entstehung von Leben komplett hergeleitet haben könnte. Seine gewagte These:
“You start with a random clump of atoms, and if you shine light on it for long enough, it should not be so surprising that you get a plant,â€
Zu der Arbeit selbst kann ich eigentlich nicht viel sagen. Biophysik ist nicht so mein Ding. Aber hier mal noch ein paar populärwissenschaftliche Links:
Video: Bold New Theory On The Origin Of Life
Dissipation-Driven Adaptive Organization: Is Jeremy England The Next Charles Darwin?
Mich persönlich würde es natürlich nicht im Geringsten wundern, wenn man mit Hilfe von statistischer Physik plötzlich Dinge erkennt die anderen jahrelang entgehen. Faszinierend finde ich das vor allem auch im Zusammenhang mit der Prognose des Physiker Peter Woit. Dieser sprach 2010 im Zusammenhang mit Eric Verlindes von eine Dekade der Entropie, da es auch in anderen Bereichen der Physik derartige Tendenzen gibt (entropic landscape).
Übrigens ist die Idee auch die Thermodynamik in die Ökonomie einzuführen keineswegs neu. Manche Ideen sind ihrer Zeit auch einfach voraus. Ich will mich da auf jeden Fall mal einlesen und Anregungen für eigene Überlegungen holen.
Aber selbst wenn diese Idee in der Ökonomie fruchtbar wäre, ist ein Paradigmenwechsel schwer, da die Ökonomie selten wissenschaftlich motiviert ist, sondern eher der Rechtfertigung der eigenen Weltanschauung dient. Schon Marx schrieb:
"Die Vulgärökonomie, die »wirklich auch nichts gelernt hat«, pocht hier, wie überall, auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spinoza, daß die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist'."
Aber wenn wir schon bei Marx und dem dialektischen Materialismus sind. Hier ergeben sich somit auch interessante Zusammenhänge zur Dialektik aus Materie und Geist bzw dem Descartschen Dualismus. Seit der Lektüre von "Gödel, Escher, Bach" bin ich angetan von der Idee, dass Bewusstsein/Geist ein emergentes Phänomen ist und das Leib-Seele oder die Dialektik von Geist und Materie ein Scheinproblem (Kategorienfehler) ist. Dieser Verdacht wurde im Laufe meines Studiums genährt. Hauptsächlich durch den Holismus/Monismus von Hegel und Leibniz . Beinflusst hat mich aber auch Gotthard Günther (sowie Heinz von Foerster - der aber in meinen Augen durch Günthers Einfluss hegelsche Idee replizierte). Weiterer Einfluss war Bohms "Implizite Ordnung" dessen Holismus und Sprachkritik mich sehr stark an Hegel erinnerte. Dessen Idee des Hologramms sensibilisierte mich auch bezüglich Verlindes "entropic gravity" bei dem die Gravitation explizite Ordnung der impliziten Ordnung der QM ist (vgl. auch holographisches Prinzip bzw. mein blog Beitrag dazu). Überhaupt eröffnete mir die Entropie teilweise die Möglichkeit eine Brücke zwischen meinem philosophischen "Holismus" und dem naturwissenschaftlichen Denken zu schlagen. Nicht zuletzt weil sich selbst noch in der Linguistik Hegels begriffliches Denken in Form einer Informationsentropie konstante über viele Sprache hinweg offenbart (Erläuterung: Bei Hegel ist begreifen kontextuales ausdifferenzieren. In der Informationstheorie ist Informationsgehalt auch durch Differenz zum Kontext bestimmt. Dies ist zwar auf den ersten Blick unterschiedlich da Informationsgehalt nicht Bedeutung bedingt, wird aber klar, wenn man bedenkt, dass unbekannte Sprachen für einen Selbst auch Unsinn sind. Informationsgehalt ist somit notwendig für begreifen aber nicht hinreichend. Dass sich diese Gemeinsamkeit nur bei Betrachtung ganzer Sätze und nicht bei einzelnen Worten auftritt, wundert mich als Hegelianer übrigens nicht im Geringsten. Die holistische Art Text zu erfassen und die Unabhängigkeit der Begriffe von Worten zeigt sich deutlich beim Lesen von Bcuhsatbenslaat).
Nicht zuletzt befeuert wurde die Idee der emergenten Natur des Geistes durch das beste belletristische Buch das ich bis dato gelesen hab:
Also sprach Golem von Stanislav Lem.
Das wirklich Faszinierende daran ist: Lem nimmt die Idee obiger Publikation vorweg. Noch vor Richard Dawkins hat Lem die Vorstellung des "egoistischen Gens" entwickelt. Das spiegelt sich exakt in der Aussage der Publikation wieder, in der wir letztlich nur dazu da sind Wärme zu transportieren. Aber nicht nur Anbetracht dessen sondern auch Entwicklungen wie IBMs Watson verleihen diesem Werk, das Lem die Summe seines Denkens nannte, faszinierende Aktualität. Nach Gotthard Günther kennzeichnet den Untergang des Abendlandes der Kollaps des Anthropozentrismus und das Ende des Descartschen Dualismus aus Materie und Geist als die zentrale (und unüberwundene) Antinomie des Abendlandes das seinen Höhenpunkt in Kants transzendentalen Dialektik hatte. Was außer Evolution (Krone der Schöpfung) "rechtfertig" unseren Anthropozentrismus denn noch? Die tote Materie beginnt zu leben und zu denken und die letzte morsche Säule unserer abendländischen Kultur zerbricht. Google hört dir zu, Deep Blue besiegt dich im Schach, Watson bei Jeopordy und diagnostiziert bald besser als der beste Arzt. Bei Lem gibt es keinen klaren Übergang, ab dem die künstliche Intelligenz den Mensch übertraf. Irgendwann war es so und es gab nur die schale Gewissheit nicht mehr Krone der Schöpfung zu sein und dazu noch die Belehrung durch Golem, dass wir es niemals waren. Gotthard Günther schreibt: „Was uns in der Maschine begegnet, ist gewesenes Leben, ist lebendiges Fühlen und alte Leidenschaft, die der Mensch nicht gescheut hat, dem Tode der Objektwelt zu übergeben. Nur dieser Tod ist das Tor zur Zukunft.“ Vielleicht kollabiert bald mehr als nur unsere Wirtschaft. Und es "wiederholt" sich nicht nur eine fehlgeleitete Austeritätspolitik sondern gar der Untergang einer Zivilisation. Pessimismus?! Ich weiß es nicht. Ich sehe aber eine Kultur die nur mehr Schatten ihrer selbst ist und dass der Geist sich selbst demaskiert. Dahinter nur das Gefühl des Absurden. Ja noch nicht einmal das. Denn der Absurde Mensch kennt den Sinn des Lebens nicht und kann sich diesen selber stiften. Doch was ist wenn der Sinn des Lebens nur mehr die Verteilung von Wärme ist. Was bleibt vom "Ich", vom Mensch, vom Subjekt, wenn das Ding, die Maschine, das Objekt selbst zum "Ich" zu werden "droht". Was bleibt, wenn wir selbst sogar nur noch Objekt sind. Ein komplexer Kühler. Degradiert vom "selbsternannten Gott" zum bloßen Mechanismus Wärme zu verteilen. Der Mensch als Machina ex Deus.
Doch genug Kulturphilosophie von mir! Das Schlusswort zu diesem Beitrag soll ein anderer haben (Kurzfilm):
In diesem Sinne
melethron
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„It’s the Second Law of Thermodynamics: Sooner or later everything turns to shit.“ - Woody Allen