Nicht alle Wirtschaftsteilnehmer sind gleich

Miesespeter, Sonntag, 22.02.2015, 14:51 (vor 3942 Tagen) @ Zarathustra10518 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 22.02.2015, 15:35

Hi Zara,

Die klassische Wirtschafttheorie stammt aus einer Zeit, in der Geld
tatsaechlich eher dinglich war und sich daher die Vorstellung von Geld

als

Ding/Schatz/Netto-Reichtum durchaus anbot.


Ja, aber das war auch bloss eine Vorstellung, wie Du richtig schreibst. Ob
Geld an Gold oder an privates Pfand gebunden ist, ändert nichts daran,
dass es letztlich ein Forderungs-/Verbindlichkeitspaar ist,

Seit dem 20.Jahrhundert mit der
flaechendeckenden Einfuehrung des 2-stufigen Bankensystems und der

Aufgabe

der Goldbindung ist dies jedoch anachronistisch.


Meines Erachtens hat sich dadurch auch nichts grundlegendes geändert.

M.E. unterscheidet sich das moderne Notenbankgeld grundlegend sowohl vom 'Goldpfand'Geld wie auch vom breiteren 'Eigentumspfandgeld' (welches eigentlich eine quantitativ wirkende Erweiterung des Ersteren darstellt). Und zwar dadurch, dass durch die Diskontierung von Staatsanleihen bzw den Ankauf jedweder Assets eine neue notenbankfaehige Assetklasse gleichberechtigt neben die materiell besicherten Kredite tritt, welche nicht physisch begrenzt ist. Erst dadurch wird die Geldmenge institutionell steuerbar.

Der Debitismus beschreibt das moderne Geld- und Wirtschaftssystem
erheblich besser, indem er Schulden & Verpflichtungen in den

Mittelpunkt

aller Betrachtungen stellt: Geld ist damit nicht mehr materiell,

sondern

ein Produkt aus Recht, Verpflichtung/Zwang, Macht.


Auf diese Weise beschreibt der Debitismus sowohl das damalige wie das
'moderne' Wirtschaftssystem, weil das Prinzip eben immer noch im
wesentlichen das selbe ist. Der Hauptunterschied ist, dass das heutige
System es den Herrschaften (Eingreiftruppen) erlaubt, Fehlallokationen zu
retten

Eben, das ist der qualitative Unterschied.

Wobei sich als naechstes die Frage anschliesst: Was sind 'Fehlallokationen'?

Ob sich ein Investment finanziell rechnet oder nicht, haengt in erster Linie von der zahlungsfaehigen Nachfrage ab. Diese ist aber keine feststehende Groesse. C.p. steigt die allgemeine Nachfrage zb durch zunehmender Verschuldung und sinkt mit abnehmender Verschuldung.

Bei abnehmender Verschuldung werden viele Investitionen, die eigentlich sehr gesund aussehen, ploetzlich zu 'Fehlallokationen', bei steigender Verschuldung hingegen viele Investitionen, die eigentlich eher krank aussehen, dennoch zu 'Renditeobjekten'.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist die des Sinns des Wirtschaftens. Ich gehe davon aus, das der systemische 'Sinn', das bezweckte Ziel, die Maximierung realwirtschaftlicher Produktion ist. Das Hamsterrad soll sich so schnell drehen wie moeglich, und so viele Gueter wie moeglich ausspucken.

Schaut man sich nun sog. 'Fehlallokationen' an (zb. spanische oder chinesische Immobilien), dann muss man zunaechst einmal anerkennen, dass hier realwirtschaftlich Gueter erstellt wurden, die nutzbar sind. Der Zweck 'Erstellung von Realguetern' - ein Aufwand, der mit viel Leistung, Arbeit und Muehen verbunden ist, welche Menschen nicht aus Vergnuegen auf sich nehmen - wurde hier erfolgreich erreicht und reale Leistung erzwungen.

Es gibt auch genuegend Menschen, die dort gerne wohnen wuerden. Allein, die Nachfrage ist nicht zahlungsfaehig. Nicht der (fehlende) Bedarf, sondern allein die (fehlende) existierende Kaufkraft erzeugt die Fehlallokation. Es ist also festzustellen, dass dies ein Distributionsproblem ('Allokation') ist, kein Produktionsproblem (das ist erfolgreich geloest, anders als im planwirtschaftlichen Staatskapitalismus).

Die zahlungsfaehige Kaufkraft, das ist bekannt (siehe auch Luta, Bill Hicks, etc), akkumuliert sich systemisch in immer groesseren Ausmasse in immer wenigen Haenden. Das wirft doch die Frage auf, ob im Sinne von Kurts Kuehler es hier nicht systemisch sogar sehr sinnvoll ist, wenn 'Fehlallokationen gerettet' werden koennen, sprich die fehlende private Nachfrage durch einen ueber den Spielern stehenden Meta-Akteur neu generiert werden kann. Dies rettet dann nicht nur die finanzielle Investition, sondern tatsaechlich auch das physische, reale Wirtschaftsobjekt, welches im Falle der Nichtnutzung in ueberschaubarer Zeit der Entropie anheimfaellt. Darueber hinaus erlaubt es privat nicht-zahlungsfaehigen Zivilisten eine Teilhabe am Wirtschaftsprodukt.

Zusammengefasst erreichen die 'Eingreiftruppen' also:

- Erstellung zusaetzlichen, realen Wirtschaftsproduktes
- Befriedigung realen Bedarfes (in Abwesenheit zahlungsfaehiger Nachfrage)
- Aufrechterhaltung getaetigter Investitionen
- Erhoehung gesamtwirtschaftlicher Profitabilitaet => Investition

Nicht so schlecht fuer ein paar Zentralplaner......

statt abzuschreiben, und das ist der Hauptgrund der
Ueberschuldung/Ueberguthabung.

Zwei Fragen:

Abschreibung => Verfall. Warum sollte ein Wirtschaftssystem, das an der Maximierung von wirtschaftlicher Leistung orientiert ist, erstellte Wirtschaftsgueter, die auch auf Bedarf treffen, einfach verfallen lassen?

Das wirkliche Problem, naemlich die Erstellung von wirtschaftlicher Leistung zu erzwingen, ist doch schon bewaeltigt. Warum sollte man das rueckabwickeln, wegen ein paar buchhalterischer Selbstbeschraenkungen?

Viel interessanter ist doch, fuehrt die zusaetzlich geschaffene Nachfrage in der Zukunft zu mehr oder weniger zusaetzlicher Leistung?

Zweite Frage: Was ist 'Ueberschuldung/Ueberguthabung'?

Ein privater Teilnehmer des Wirtschaftssystems kann 'ueberschulden', spaetestens wenn er Tilgung & Zinsen nicht mehr bedienen kann. (Wobei Tilgung sehr langfristig angelegt werden kann, und Zinsen sehr niedrig)

Aber ein Meta-Akteur, im Besitz einer Notenbank, welche das allgemeine Zahlungsmittel jederzeit selbst herstellen kann, kann nicht ueberschulden.

Er kann lediglich ueberreizen. Das ist nur dann der Fall, wenn das vorgegebene Zahlungsmittel von den Wirtschaftsteilnehmern nicht mehr aktzeptiert wird und es daher zur Erzwingung von wirtschaftlicher Leistung nicht mehr taugt.

Genau dieser Zustand wird seit Jahrzehnten regelmaessig vorhergesagt (Hyperinflation voraus!) ohne dass es je eintritt. Stattdessen sieht man Deflation, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die permanente Warnung vor Hyperinflation als unausweichliche Folge jeglichen anti-deflationaeren Agierens seitens der Institutionen (bzw des Meta-Akteurs, des Spielregel-Schreibers) diese Deflation erst moeglich macht.

Die Moeglichkeit des allgemeinen
Nichtsparens oder permanenten Saldenausgleichs schliesst er implizit

aus,

aber eben nicht explizit und wissenschaftlich umfassend.


Weil das ja klar ist. Diese 'Möglichkeit' ist eben keine und war auch
noch nie eine. Wie sollte dies auch anders sein können? Es ist
systemimmanent.

Das System ist aber eine Kreatur menschlichen Handelns und somit beeinflussbar.

In der Gesellschaft fehlt die Solidarität der
Gemeinschaft, folglich wird individuell vorgesorgt.

Die Umlagenrenteversicherung war ein Beispiel, welches ohne individuelle Vorsorge auskam, weil es nicht notwendig war. Im Sozialismus der DDR wurde ebenfalls nicht individuell vorgesorgt, vielleicht weil es nicht zugelassen war. Damit wird schon deutlich, dass es sich hier nicht um ein Naturgesetz handeln kann, denn diese veraendern sich nicht aus Gruenden menschlicher Notwendigkeit oder zwingenden Eingreifens.

Der Frage, ob
monetaere Guthaben (und somit Schulden) nicht sehr lange sehr hoch oder

gar

unbeschraenkt wachsen koennen (weil sich zb die Sparer an den hohen
Sparguthaben und des dadurch gewonnen Sicherheitsgefuehls mehr erfreuen

als

am Konsum der Forderungen), ohne weitere wirtschaftliche Probleme zu
verursachen, geht er nicht nach.


Die Dysfunktionalität überhöhter Bilanzsummen wird einzelwirtschaftlich
abertausendfach beantwortet. Bilanzsummen in Höhe des hundertfachen
Eigenkapitals (nach dem aberwitzigen Dogma „Schuldenhöhe irrelevant“)
führen in die Insolvenz, sobald die Aktivseite auch nur um 1 Prozent an
Wert verliert.

Gilt nur fuer Privatwirtschaftler, nicht fuer den Staat oder die Notenbank.

Selbst dort fuehrt Ueberschuldung rein wirtschaftlich betrachtet nicht automatisch zur Insolvenz des Unternehmens, sondern zunaechst einmal nur zu negativen Eigenkapital (mit entsprechenden rechtlichen Folgen fuer die Eigenkapitaleigner). Fuer das bilanzierende, schuldende Unternehmen wie auch fuer die Glaeubiger ist die Situation erheblich komplexer, und zur tatsaechlichen Lagebeurteilung muessen / werden auch Faktoren wie Bewertungsfragen, Cash-Flow und zukuenftige Erwartungen usw.

Jedes Milchmädchen begreift das. Keynesianer kapieren es
nicht, weil - im Unterschied zum Milchmädchen - komplett weltfremd
unterwegs.

Das Milchmaedchen glaubt nur, es zu begreifen. Das Denken des Milchmaedchens beruht aber auf einer Ansicht auf ein System, das seit mehr als einhundert Jahren so nicht mehr existiert. Weil das Milchmaedchen die Moeglichkeiten einer modernen Notenbank bzw. die hierdurch erweiterte Funktion des modernen Wirtschaftssystems nicht erfasst, worin es mit der Entmaterialisiserung des Geldes nunmehr einen ungebundenen Meta-Akteur im Spiel gibt, welcher in der Lage ist, massive, funktionsstoerende Ungleichgewichte, welche im Spielverlauf entstehen, durch entgegenwirkende Eingriffe (die einem normalen privaten Spieler nicht moeglich sind) abzumildern oder sogar aufzuheben. Die Auswirkungen dieses Umstands bleiben fuer das Milchmaedchen voellig unverstaendlich, weil es weder die Veraenderung der Spielanordnung ueberhaupt erkennt, noch sich in der Folge irgendwelche Fragen nach den daraus erwachsenden Auswirkungen stellt.

Die Frage, ob Notenbanken nicht durch
Ankaeufe von 'gebrauchten Unterhosen' mittels Emission von
'Regulationsgeld' als permanenter Nachschuldner of last resort eine
tendenziell deflationaere Volkswirtschaft am Optimum steuern koennen

ohne

dabei eine alternativlose Hyperinflation zu entfachen, wird durch
historischen Empirizismus verstellt, etc.


Was tausendfach verifiziert ist, muss doch nicht weiter hinterfragt
werden. Da könnte man noch viel eher den Leninismus weiterpostulieren,
denn jenes Prinzip ist noch nicht abertausendfach widerlegt worden.

Es ist m.E. noch nicht einmal verifiziert worden. Falls doch, und mir nicht bekannt, bitte ich um Verweis auf eine Hyperinflation, welche - nach der Aufgabe einer materiellen Bindung des Geldes wie zb an Gold - in einem kapitalistischen (=privateigentumsrechtlichen) System durch den Ankauf von Wirtschaftsguetern durch eine das allgemeine Zahlungsmittel emittierende Monopol-Notenbank verursacht wurde, in einem Land, welches nicht in Fremdwaehrung, sondern in eben jener emittierten Eigenwaehrung verschuldet war.

Um hier eine noch bessere Abgrenzung vornehmen zu koennen, bitte auch einen Fall angeben, in welchem nicht vor der Hyperinflation die Produktionsbasis der Wirtschaft in ueberwaeltigendem Masse zerstoert worden ist (zb durch einen verlorenen Krieg, eine gewalttaetige Revolution etc) denn dort ist der Grund der 'Hyperinflation' naheliegenderweise das Verschwinden von realer Produktion, so dass aller Nachfrage praktisch kein Output mehr gegenueberstandjj.


Nichtverwendung des Geldes, exzessives Sparen (S > I), langfristiges
Zurueckhalten von Geld fuehrt vielmehr zu massiven wirtschaftlichen

Risiken

fuer eben jene akkumulierten Guthaben, insbesondere dann, wenn selbst
Politiker den Staat nicht mehr als Nachschuldner of last resort

verstehen

und Notenbanker alle Sparguthaben monetarisiert haben, auf dass diese
nunmehr in heimischen Tresoren anstatt auf Bankkonten akkumuliert

werden.


Der Risiko/Chance-Charakter ist doch ein wesentlicher Treiber des
Kapitalismus und der feudalistischen Kommandowirtschaft gerade deswegen
haushoch überlegen.

Sehe ich auch so. Der 'Investor/Unternehmer' muss ein positives Renditeerwarten haben, dann tritt er als freiwilliger Multiplikator auf, in dem systemischen Versuch, maximalen wirtschaftlichen Output zu erzwingen.

Daher macht es fuer mich schon systemisch gesehen Sinn, dass der Meta-Akteur tendenziell darauf einwirkt, dass Renditeerwartungen von Unternehmern positiv sind (Eigenkapitalzins > Fremdkapitalzins).

Flassbecksche Eingreiftruppen, die die Risiken und
Chancen aus dem System nehmen, würden den Kapitalismus flugs in einen
wirtschaftlich nicht konkurrenzfähigen Feudalismus umfunktionieren.

Was die 'Flassbecksche Eingreiftruppen' in meinem Verstaendnis zunaechst aus dem System nehmen wollen, sind unhaltbare Ungleichgewichte.

Zumal: Wenn man die Risiken vermindert, so vermindert dies nicht zwingend logisch auch die Chancen.

Es ist sicherlich mehr als fraglich, ob dabei die Spielanordnung immer gut gewaehlt ist. Anstatt Regeleingriffe eines Metaplayers koennen viele Dinge vermutlich besser und flexibler durch dezentrale Selbstregulierung geloest werden (zb waere das Griechenland-Problem bei Erhalt der DM/Drachme so nicht aufgetreten: was aber andererseits den Output begrenzt haette und somit dem Systemzweck entgegenstuende). Aber nicht notwendigerweise alle Dinge koennen durch dezentrale Selbstregulierung geloest werden. Es gibt systemimmanente (Fehl-)Entwicklungen, wo zumindest ich ueberzeugt bin, dass ohne uebergeordnete Regeleingriffe das System seinen Zweck zusehends schlechter erfuellen wird bis es schliesslich 'systemimmanent' zusammenbricht (bspw. spielimmanente Vermoegens- und Nachfragekonzentration). Die debitistische Loesung ist hier auf eine Neuanordnung/Reset durch Zusammenbruch zu setzen (Dottore erwaehnt noch - anerkennend - die lykurgsche Revolution und das juedische Erlassjahr nach dem siebten von sieben Sabbatjahren). Je komplexer (= weiterentwickelter) das System, desto ungemuetlicher bis unmoeglicher ein solcher Reset: das brauch ich Dir nicht zu erklaeren.

Ich halte es fuer durchaus legitim, und auch machbar, hier etwas elegantere Varianten in Ansatz zu bringen bzw zu erproben.

Gruss,
mp

--
Everything is ok


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