Das ist das typische Nachschuldner-Rondo, der Turbo des Kapitalismus

Miesespeter, Montag, 16.02.2015, 23:53 (vor 3948 Tagen) @ politicaleconomy11571 Views
bearbeitet von unbekannt, Dienstag, 17.02.2015, 00:29

Hi PE,


Warum macht Geld "frei und unabhängig"? Weil es Macht über andere
verleiht. Geld entsteht durch Monetisierung von Forderungen,
"repräsentiert" also in diesem Sinn eine Forderung auf eine Leistung. Die
Freiheit des Geldhalters (Gläubigers) ist die Unfreiheit
(Verpflichtung/Zwang) des Schuldners.

DAS ist m.E. die "Dialektik", auf deren systematischer Ausblendung
liberaler Utopismus beruht.

Das kommt wohl daher, dass neoklassische Wirtschaftstheorie Geld wie ein physisches Ding (aka Gold) interpretiert, und nicht als Guthaben/Schulden - Paerchen, welches zwecks Umlaufbarmachung von einer Notenbank mit einem Aktzept versehen worden ist.

Die klassische Wirtschafttheorie stammt aus einer Zeit, in der Geld tatsaechlich eher dinglich war und sich daher die Vorstellung von Geld als Ding/Schatz/Netto-Reichtum durchaus anbot. Seit dem 20.Jahrhundert mit der flaechendeckenden Einfuehrung des 2-stufigen Bankensystems und der Aufgabe der Goldbindung ist dies jedoch anachronistisch. Knapp 100 Jahre spaeter hat sich die VWL jedoch immer noch nicht vollstaendig auf die neuen Gegebenheiten eingestellt und verweilt mit ihrer Theorie in weiten Teilen im materiellen Denken (welches einer einzelwirtschaftlichen Betrachtung eher gleicht als einer dialektischen Analyse).

Der Debitismus beschreibt das moderne Geld- und Wirtschaftssystem erheblich besser, indem er Schulden & Verpflichtungen in den Mittelpunkt aller Betrachtungen stellt: Geld ist damit nicht mehr materiell, sondern ein Produkt aus Recht, Verpflichtung/Zwang, Macht. Damit ist Debitismus schon mal der klassischen VWL weit voraus, und kommt mir daher bei Deinen Ueberlegungen oft zu schlecht weg.

Der extreme Fokus des Debitismus auf die Schuldenseite fuehrt m.E allerdings zu einer Vernachlaessigung der Analyse der spiegelbildlichen Guthabenseite und der sich daraus ergebenen Zusammenhaenge und Dynamiken. Da ist zb das (ja durchaus empirisch beobachtbare und auch benannte) Element des Sparens und monetaeren Akkumulierens, welches er aber nicht klar als Grundbedingung fuer die apodiktische Notwendigkeit des wachsenden Nachschuldnerbedarfs herausstellt. Die Moeglichkeit des allgemeinen Nichtsparens oder permanenten Saldenausgleichs schliesst er implizit aus, aber eben nicht explizit und wissenschaftlich umfassend. Der Frage, ob monetaere Guthaben (und somit Schulden) nicht sehr lange sehr hoch oder gar unbeschraenkt wachsen koennen (weil sich zb die Sparer an den hohen Sparguthaben und des dadurch gewonnen Sicherheitsgefuehls mehr erfreuen als am Konsum der Forderungen), ohne weitere wirtschaftliche Probleme zu verursachen, geht er nicht nach. Die Frage, ob Notenbanken nicht durch Ankaeufe von 'gebrauchten Unterhosen' mittels Emission von 'Regulationsgeld' als permanenter Nachschuldner of last resort eine tendenziell deflationaere Volkswirtschaft am Optimum steuern koennen ohne dabei eine alternativlose Hyperinflation zu entfachen, wird durch historischen Empirizismus verstellt, etc.

Es waere sicherlich sehr interessant, die Forderungsseite des Geldes etwas mehr zu beleuchten und besser zu verstehen, anstatt sich immer nur ausschliesslich auf die Schulden zu konzentrieren. Onkel Ottos 'Guthabenkrise'-Ansatz ging ja in die Richtung, auch Varoufakis erwaehnt das identisch.


Nun willst Du Dir den Kredit auszahlen lassen. Die Bank refinanziert sich
nun bei der ZB, indem sie dieser die Forderung gegen Dich verkauft und
dafür ZB-Geld enthält, das sie an Dich auszahlt. Du bist damit Schuldner
der ZB (und gleichzeitig Gläubiger). Jetzt gibtst Du das Geld aus und
kaufst Dir etwas dafür.

Vermutlich bei einem weiteren Schuldner, der sich aufgrund der Einnahme jetzt seinerseits entschulden kann. Darin besteht die 'Freiheit' des Glaeubigers.

Du mußt es ja aber in t1 zurückzahlen, sonst
wird zwangsvollstreckt. Derjenige, der es hat, hat nun Macht über Dich
derart, daß er Dir entweder für dieses Geld etwas abkaufen (=fordern)
kann; oder er kann sich dafür entscheiden, das Geld zu halten (sparen) -
dann kannst Du es nicht zurückzahlen, und es wird zwangsvollstreckt.

Es sei denn es tritt ein neuer Nachschuldner auf und kauft.

Oder sogar - wenn er vielleicht ausreichend Bemuehen zu wirtschaftlicher Leistung bei Dir feststellt - ein Meta-Akteur mit Nettochips (Regulationsgeld), dessen Interesse es ist, die gesamtwirtschaftliche Leistung am Optimum zu halten und dich vom Absturz in die Insolvenz und das Betteltum zu bewahren.

Reminders of money, relative to nonmoney reminders, led to reduced
requests for help and reduced helpfulness toward others. Relative to
participants primed with neutral concepts, participants primed with

money

preferred to play alone, work alone, and put more physical distance

between

themselves and a new acquaintance"

M.E. ebenfalls einem Fehlverstaendnis von 'Geld' geschuldet. Reichtum entsteht seit der Entmaterialisierung des Geldes nicht mehr durch Zurueckhaltung, sondern erst durch Verwendung des Geldes. Nicht die Akkumulation, sondern die Kreislaufwirtschaft des Geldes fuehrt zu Reichtum.

Nichtverwendung des Geldes, exzessives Sparen (S > I), langfristiges Zurueckhalten von Geld fuehrt vielmehr zu massiven wirtschaftlichen Risiken fuer eben jene akkumulierten Guthaben, insbesondere dann, wenn selbst Politiker den Staat nicht mehr als Nachschuldner of last resort verstehen und Notenbanker alle Sparguthaben monetarisiert haben, auf dass diese nunmehr in heimischen Tresoren anstatt auf Bankkonten akkumuliert werden.

Gaebe es eine VWL, welche die ueberlegene allgemeine Profitabilitaet einer Kreislaufwirtschaft des Geldes, eines permanenten wirtschaftlichen Ausgleichs von Glaeubiger- und Schuldnerpositionen, sowohl im Makrobereich (aussenwirtschaftliches Gleichgewicht, oder funktionierendes surplus recycling) wie auch im Mikrobereich (wo die Saldenmechanik ganz genauso anwendbar ist) demonstrieren und belegen wuerde / koennte, und dies ueber 100 Jahre popularisieren wuerde, dann wuerde vermutlich auch kein 'asozialisierender' Effekt durch das Studium der VWL oder der Betrachtung von Geld eintreten.


"Physical distance" - ja, weil Geld einen monetisierten rechtlich
durchsetzbaren Anspruch repräsentiert (es entsteht größtenteils, indem
eine Bank den Schuldtitel eines Privaten ankauft), der zur Machtausübung
über den Schuldner dessen physische Präsenz nicht voraussetzt.

Sprich: Geld individualisiert und ist ein unsichbares Machtinstrument.

Das ist so im gegenwaertigen Geldverstaendnis, welches im Materiellen verblieben ist, in dem ein jeder einen Schatz aus Gold=Geld anzuhaeufen wuenscht. Wenn es eine populaere MMT schaffen wuerde, diesen Canard ad acta zu legen, und das moderne Geld und seine Funktionen zumindest einmal dem Fachpublikum besser verstaendlich zu machen, koennte es sehr wohl sein, dass sich auch 'einzelwirtschaftlich' andere Interpretationen und Verhaltensweisen etablieren als das heutige Maximieren von monetaerer Akkumulation.

Du siehst, der Detailteufel und Du, ihr habt noch einiges zu tun!

Gruss,
mp

--
Everything is ok


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