Über genossenschaftliche Organisation

Leserzuschrift, Samstag, 23.05.2015, 14:38 (vor 3551 Tagen) @ Fussgänger10567 Views

> Die Genossenschaft "Deutschland" ist schlussendlich das gleiche, wie der Staat Deutschland (oder jeweils Schweiz - ich bin Schweizer).

Nein. Das ist geradezu diametral entgegengesetzt. In einer Genossenschaft wäre die Verwaltung/Regierung den Bürgern untergeordnet, beim Staat ist es umgekehrt.

In einer Genossenschaft "Deutschland" käme beispielsweise die Diskussion um Auslandseinsätze der Bundeswehr gar nicht erst auf, weil - sofern man Umfragen Glauben schenken darf - die Mehrheit der Eigentümer dagegen wäre.


> Du meinst also, wenn du Anteilseigner einer Unternehmung seist, hättest du was zu sagen?

"Ich" vielleicht nicht, aber "wir" schon.
Außerdem käme es darauf an, wie die Satzung gestaltet ist. Falls (manche) Beschlüsse einstimmig zu fassen wären, dann hätte jeder Einzelne etwas zu sagen.

Wann hat der Bürgermeister Deiner Gemeinde das letzte Mal zu einer Einwohnerversammlung geladen, um beispielsweise über die Erhöhung der Müllgebühren abstimmen zu lassen?

> Ich werde vier Mal pro Jahr zu irgend welchen Fahrradständerproblemen befragt.

Eben: unverbindlich "befragt" - zu unwichtigen Randthemen.

Könnt ihr eurer Gemeindeleitung jederzeit das Vertrauen entziehen, wenn sich herausstellt, das sie mit den ihr anvertrauten Geldern "unsachgemäß" umgeht?

> "Jederzeit" nicht, kann ich bei den Unternehmen, bei denen ich via Aktionariat "Miteigentümer" bin, aber auch nicht.

Doch. Falls sich eine Mehrheit der Eigentümer einig ist, geht das ganz fix.

Das Straßennetz als genossenschaftliches Eigentum der KFZ-Halter,

>>> Jetzt ist es halt das "genossenschaftliche" "Eigentum" der Steuerzahler, zusätzlich alimentiert durch die KFZ-Halter (KFZ- und Treibstoffsteuer). Da ändert sich schon wieder nichts.

Doch. Dann könnten die Mitgliedsbeiträge nicht einfach für etwas anderes ausgegeben werden.

> Doch. Und sei es nur für Spesen, ähnliche Aufwände und sogar für Boni.

Spesen und Boni gehören zu den Geschäftskosten.
Was ich meinte ist, dass die KFZ-Halter möglicherweise nicht bereit wären, beispielsweise den "öffentlichen" Nahverkehr zu subventionieren oder den lokalen Fußballclub mit durchzufüttern.

Die KFZ- und Treibstoffsteuer wurden ja einmal zweckgebunden erhoben, um das Straßennetz zu finanzieren. Dann verschwanden diese Einnahmen im großen Topf, und jetzt wird Maut eingeführt --- um das Straßennetz zu finanzieren.

> Auch ein privatrechtlich geführtes Unternehmen, das öffentliche Dienstleistungen erbringt, kann zusätzliches Geld benötigen.

Klar. Dann müsste die Verwaltung die Eigentümer um eine Entscheidung bitten, wie dieser zusätzliche Bedarf zu finanzieren sei; ob diese eine Erhöhung der Beiträge ("Steuern") akzeptieren oder woanders den Rotstift ansetzen wollen.


> Das kommt dann entweder direkt von den Steuerzahlern ...

Falls diese zustimmen.

> ... oder von "kreativ" erfundenen Posten (z.B. Maut).

Möglich. Das würden dann aber die Eigentümer, also die NUTZER des Straßennetzes entscheiden und nicht ein kleines Grüppchen "Erleuchteter".


> Privatwirtschaftliche Unternehmen werden merken, dass es bedeutend mehr Spass macht, Gewinn zu erwirtschaften; sei es für die (Mehrheits-)Eigentümer oder für die Chef-Angestellten (als Bonus).

Ja. Aber in einer "sauberen" Wettbewerbssituation schrumpfen die Gewinne wie Schnee in der Sommersonne.
Da findet sich dann immer mal wieder jemand, der mit einer geringeren Gewinnspanne zufrieden ist, und schon purzeln die Preise. (Stichwort: Fielmann)

Das Schienennetz wird kostendeckend betrieben, ...

> Kostendeckend könnte und tut dies normalerweise eine staatliche Organisation. Privatrechtliche Unternehmen tendieren _gewinnbringend_ zu betreiben.

Wenn ein Unternehmen ausschließlich Leistungen für seine Eigentümer erbringt und den Gewinn am Jahresende an eben diese Eigentümer ausschüttet, dann ist das de facto ein kostendeckender Betrieb.

Und falls die Eigentümer dann auch noch aus purem Egoismus darauf achten, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, dann ergibt sich quasi von allein ein volkswirtschaftliches Optimum.

... und jede Bahngesellschaft steht in Konkurrenz mit anderen.

> Die Bahngesellschaften betreiben das Schienennetz gar nicht.

Sie wären Eigentümer/Mitglieder der Genossenschaft, die sich um Ausbau und Erhalt des Streckennetzes kümmert.


> Und wenn sie's täten, könnten sie damit nicht vernünftig in Konkurrenz zu anderen sein. Oder glaubst du ernsthaft, es könnten zwei weitgehend unabhängige Schienennetze in einem Land existieren _und_ wirtschaftlich günstig sein?

Es gäbe ein Schienennetz und beliebig viele Bahn-Transportunternehmen, denen dieses Schienennetz gemeinsam gehören würde.

Wenn sie an der falschen Stelle "spart", geht sie pleite und wird von einer anderen ersetzt, die rechnen kann.

> Wenn die das Schienennetz betreibende Firma Pleite geht, muss erstmal der Steuerzahler, in Form deines gehassten Staates einspringen.

Nein. Dann sind erstmal die Eigentümer an der Reihe. Stichwort: Nachschusspflicht
Und weil die Bahngesellschaften das wissen, werden sie sich aus eigenem Interesse darum kümmern, dass die das Schienennetz betreibende Firma nicht von Unfähigen oder Gaunern geleitet wird.


> Und weil die private Firma knallhart rechnen muss und überall versucht, Kosten zu sparen, wird sie an Reinvestitionen sparen wollen. Und dann wegen eines unvorhergesehenen und nicht versicherten Problems doch Pleite gehen.

Welches Interesse könnten die Bahngesellschaften daran haben, das Verkehrsnetz vergammeln zu lassen, von dem ihre Dienstleistung fundamental abhängt?

Ist es nicht kurios, dass die Eroberung des "Wilden Westens" entlang von - privat finanzierten - Bahntrassen erfolgte? Befestigte Straßen und Autobahnen kamen viel später.

Nur nebenbei zu den Kosten:
Wikipedia: "1995 gab die Bahn die Erstellungskosten pro Kilometer Schotterfahrbahn mit durchschnittlich 850.000 DM an, bei der Festen Fahrbahn 970.000 DM je Kilometer."
Wikipedia: "Die Baukosten je Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecke liegen nach Angaben des Internationalen Eisenbahnverbandes in Europa zwischen 12 und 30 Millionen Euro."
Wikipedia: "Entsprechend einer Beispielrechnung können sich in Deutschland durchschnittliche Kosten von 26,8 Millionen Euro pro Autobahnkilometer ergeben".

Warum sollte das, was auf der Straße bei Überlandbussen oder Speditionen funktioniert, nicht auch auf der Schiene gehen?

> Ich kenne kein Land, bei dem die Strassen privat betrieben werden

Das bezog sich auf die Trennung von Netz und Transport.
Es gibt (Gott sei Dank) keine "Bundes-Spedition", der die Autobahnen gehören.

Wenn Du (Mit-)Eigentümer der Gemeinde wärst, dann könnte die Verwaltung nicht einfach nach Gutsherrenart entscheiden, wieviel Geld Du zu zahlen hast und wofür es ausgegeben wird.

> Ungefähr so, wie die Bank, bei der ich Aktionär bin, nicht einfach die Gebühren ändern kann.

Wenn alle Bankkunden gleichberechtigte und alleinige Aktionäre wären und ihre Stimmrechte auch wahrnähmen, dann wären möglicherweise nicht nur die Gebühren niedriger, sondern auch die Gehälter der Ackermänner...


>>> Was machen eigentlich die Genossenschafter (Miteigentümer), wenn sie wegziehen ...?

Die Mitgliedschaft ist ortsgebunden.

> Ich bin also nicht Eigentümer im rechtlichen Sinne.

Doch. Aber wenn Du Dein Grundstück verkaufst, dann wirst Du sicherlich auch die Mitgliedschaft an den Käufer übertragen.
Es wäre doch seltsam, Mitgliedsbeiträge (Grundgebühren) weiter zu zahlen, ohne einen Nutzen davon zu haben.


> Es handelt sich damit um eine Zwangsmitgliedschaft, wie heute bei der Gemeinde und dem Staat.

Nein. Niemand hindert Dich daran, Selbstversorger zu sein.
Möglicherweise ist es allerdings billiger, Strom und Wasser von der Genossenschaft zu beziehen als ein Windrad aufzustellen und einen Tiefbrunnen zu graben.


>>> Warum soll nicht eine reine Aktiengesellschaft diese Geschäfte führen, vielleicht auch eine grössere Firma die Wasserversorgung anbieten, z.B. Nestlé oder Monsanto?

Wenn die Einwohner ihr den Auftrag geben und dann mit den Konsequenzen leben, warum nicht?

> Weil es Mist ist.

Wieso?
Solange Dich niemand zwingt, dieses Wasser abzunehmen, regelt sich das doch von alleine.


> Es sollte gar nicht zur Disposition stehen, dass man sich in einer selbstverschuldeten oder von aussen konstruierten Notlage an solche Konzerne verkaufen kann.

Verstehe ich nicht. Welche Notlage?

"Staat" ist für mich ein Synonym für organisierte Verantwortungslosigkeit.

> Du bist also ein Ideologe.

Wieso?
Laut Wikipedia ist eine Ideologie "... eine Weltanschauung, die einen hohen Anspruch auf Wahrheit erhebt und die für abweichende Lehrmeinungen kaum noch offen ist."

Was hat meine praktische Erfahrung bezüglich staatlicher Misswirtschaft mit irgendwelchen "Lehrmeinungen" zu tun?

Die Grundinfrastruktur gehört in die Hand der Einwohner, also Volkseigentum im wahren Sinne.

> Also der Menge aller Bürger - sowohl auf kommunaler bis hin zu nationaler Ebene: den unterschiedlichen Organen des Staates.

Warum klammerst Du Dich nur so an den Staat?
Schau sie Dir doch an, die bleichen Gestalten: Konkursverschleppung, wohin das Auge blickt. Lenin träumte vom Absterben des Staates. Das haben wir doch inzwischen fast erreicht - ganz ohne Revolution. Stelle die künstliche Beatmung durch die Zentralbanken ab, und die Kadaver fallen zusammen wie halbgare Windbeutel...


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