Kleine Hilfestellung zum Debitismus für einen Tiefstapler

Silke, Montag, 12.10.2015, 13:44 (vor 3405 Tagen) @ trosinette2981 Views
bearbeitet von Silke, Montag, 12.10.2015, 13:53

Liebes Schneiderlein,

ich bin von Natur aus sehr urteilsscheu und kann fast jedem gelehrigem
Gerede irgendetwas Wahrhaftiges abgewinnen.

Wir sind alle nur Suchende, sortieren neue Aspekte in unser Weltbild ein, verdauen neue Informationen zu eigenem Wissen.

In dem hiesigen Fall bin ich
aber dem Gerede von Ashitaka ebenfalls mehr zugeneigt als dem Gerede von
Zara.

Ich auch, trotz alle Hochachtung für beide, aber ärgerlich über den teils unnötig entwertenden Stil, der diese so wichtige Diskussion stark beschädigt.

Woran merke ich, dass ich den Debitismus vollumfänglich durchdrungen
habe?

Da ja bekanntlich auch Information, Wissen und Erkenntnis nicht stationäre, sondern veränderliche Entitäten im Fluss der Zeit sind, dürfte diese "Vollumfänglichkeit" Wunschdenken bleiben.
Beim Schmökern in "Aufwärts ohne Ende" vom dottore bin ich auf S.78 an einem sehr gelungenen Abschnitt geraten, der Dir vielleicht ein wenig weiter hilft:

"Alles in uns und um uns, vor uns und nach uns, über, unter, neben uns ist Schuld. Wirtschaft und Welt sind nur als eine unendliche Kette von Schulden, Verpflichtungen, Belastungen, Ansprüchen, Krediten, Forderungen, Guthaben und ergo wieder Schulden zu erklären. Das treibt, peitscht, motiviert. Die Theorie, die alles Individuelle und Soziale aus der Schuldenkette ohne erkennbaren Anfang und ohne erwartbares Ende heraus erklärt heißt Debitismus."

Die Frage aller Fragen ist nun:
Woher kommen nur diese vielen, vielen Schulden?

Bei mir stellt sich das Gefühl der vollumfänglichen Durchdringung nur
ein, wenn ich rechtzeitig das Denken einstelle, bevor ich mich in der
Kampfzone des Undurchdringlichen verliere. Beispielsweise spielt die Zeit
im Debitismus eine nicht unwesentliche Rolle und gemäß Augustinus weiß
ich ziemlich genau was Zeit ist, solange man mich nicht danach fragt.

Zeit ist für Debitisten nur insoweit von Bedeutung, als das sie abläuft und damit in zentristischen Machtsystemen gesetzte Termine schlagend werden, zu denen Schulden unterschiedlichster Art getilgt werden müssen, um einer Sanktion zu entgehen.

Vor dem Termin sind die Schulden „nur“ mehr oder weniger drängend, da noch Zeit abläuft, die uns ein Agieren erlaubt und für die Nachschuldnersuche Optionen eröffnet. Erst zum Termin werden sie für uns existenziell, weil sich dann entscheidet, ob wir sie tilgen können, indem ein Nachschuldner gestellt wird, oder wir die Strafe, Sanktion oder den Bankrott erleiden müssen.
Das gilt sowohl für Urschuld, Abgabeschuld, Vertragsschuld als auch religiöse Schuld.

Schuld entsteht aber nie ex nihilo, sondern immer in koalierenden oder konkurrierenden zentristischen Machtsystemen als Ergebnis der Machtausübung von wechselnden Machthaltern gegenüber Ohnmächtigen (z.B.Sonne/Planeten/Monde oder z.B. Pflanzenfresser/Tierfresser/bewaffnete Menschen oder z.B. per bewaffnetem Zwang organisierte Gewalt, die eine Masse an per Machtzession und Gewaltausübung ruhig gehaltener Ohnmächtiger dazu zwingt, gegen ihre eigenen Interessen, Bedürfnisse und Triebe zu agieren).

Kurz zum Machtbegriff:
"Das Wort "Macht" kann auf zwei ähnlich lautende indogermanische Wurzeln zurückgeführt werden:
Macht (Wiki): mag- (kneten, pressen, formen, bilden) oder magh- (machen - im Sinne von können, vermögen, fähig sein)".

Ziemlich eindeutig, wer sich wessen bemächtigt, finde ich...
Ein Zentralmachtsystem ist die Summe aller ständig sich verändernden beteiligten Macht-/Kraftströmungen der sogenannten organischen und anorganischen Welt und erstreckt sich sowohl über unsere Zivilisation, als auch über die gesamte Biosphäre (Schwärme, Gruppierungen und Individuen werden durch äußere und innere Bedingungen gezwungen, so zu agieren, wie sie agieren müssen, egal ob sie wollen). Sie können Potential nur insoweit entfalten, wie es von übergeordneten Machtstrukturen eingeräumt wird. Deshalb ist die Aussage des @Frosch korrekt, dass nie das herauskommt, was wir geplant haben, weil wir schlicht keine ausreichend mächtige Zentralmacht haben und zu wenig über die stets involvierten und widerstreitenden Kräfte und Interessen wissen.

Die Mächtigkeit der Macht wird definiert durch die unter ihrem formenden Einfluss in Raum und Zeit stehende Umgebung (siehe hierarchische und komplexe Systeme), deren Entfaltung von der Macht zugelassen wird oder eben nicht .
Ein autopoietisches System entfaltet sich auch nur genau so, wie es sich entfaltet, weil übergeordnete Machtstrukturen dieses zulassen.

Mit unserer Urschuld werden wir spätestens beladen, sobald wir uns nach dem Zeugungsakt vom Organismus Menschheit physisch abgrenzen und als eigenständiges Fraktal zum Fötus und dann Säugling entwickeln. Erfolgt keine ausreichende Implementierung in die uns überall umgebenden Machtstrukturen der Natur mit ständiger Entschuldung zumindest im Hinblick auf die Zinszahlungen unserer aus purer Existenz resultierenden Urschuld gehen wir als Individuum oder sogar als ganzer Stamm oder als Gesellschaft unter wie die Neandertaler oder die Nazca und unzählige andere akephale Stämme und zentristisch organisierte Kulturen, die über teils lange Zeit ihre Urschulden bedienbar halten konnten - dann aber z.B. wegen klimatischer Veränderungen eben immer schlechter und schließlich nicht mehr, während andere überlebten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Adam_des_Y-Chromosoms
https://de.wikipedia.org/wiki/Mitochondriale_Eva

Abgabeschuld kann ebenfalls nur in einem zentristischen Machtsystem (allerdings speziesintern) gesetzt werden, dass sich leider früher oder später bei unserer Spezies herausbilden musste, um nicht durch Überschuldung im Rahmen der immer schwierigeren Bedienbarhaltung der Urschuldung bei sich ungünstig verändernden Lebensbedingungen in schwankenden Zyklen zwischen Überfluss und Not in Gesamtheit unterzugehen (Zerschlagung segmentärer Gemeinschaften und Etablierung von Zentralmachtinstanzen mit Patriarchisierung, Erfindung der Götter, Übervölkerung usw.). Die Ackerbauern aus Vorderasien, Mittelamerika und Asien sind nicht aus Spaß, Lust und Laune erst sesshaft geworden und dann expandiert und die Kurganleute und andere anfänglich friedliche Viehzüchterstämme haben nicht aus lauter Blutrünstigkeit das Zweistromland u.A. überfallen.
Urschulden mussten bedient werden. Blütezeiten und Katastrophen bis hin zu genetischen Flaschenhälsen mussten überstanden werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Genetischer_Flaschenhals

Nur eine unpersönliche (beliebig austauschbare Machthalter und Gefolgschaft) und nicht dingliche (beliebig und flexibel austauschbare Machtstrukturen und -elemente) Zentralmacht, die durch ständige Evolution die Verschuldung durch die mächtigeren zentristischen Systeme (Natur mit ihren Schwankungen, Zyklen und wiederkehrenden und sich abwechselnden verheerenden und lebensfördernden Ereignissen) bedienbar hält hat die Potenz, die Zeit im ständigen Wandel zu überdauern und sich in heutigen Tagen global und fest im Sattel sitzend zu etablieren.

Die Vertragsschuld ist nur ein Derivat der Abgabeschuld und wäre ohne die den Machtkreislauf etablierende und unterhaltende Zentralmacht nicht existent. In zentralmachtfreien, akephalen, segmentierten Gesellschaften bedarf es keiner Verträge sondern nur der aus dem Bedürfnis der Selbsterhaltung und des Zusammenhaltes heraus sich traditionell entwickelnden Normen, Sitten und Regeln, die dem Stamm die gemeinsame Bedienung der Urschuld ermöglichen.

Die religiöse Schuld bedarf ebenfalls Zentralmachtinstanzen, die letztlich auch nur auf das Setzen von Abgabeschulden (gegen Götter und später praktischerweise für die irdischen Begünstigten abzielt). Die Spiritualität der Indigenen dürfte damit wenig zu tun haben.

Sich gegenseitig die weltbetrachtende Perspektive um die Ohren zu hauen
und dabei vorzugeben die Dinge vollumfänglich durchdrungen zu haben, halte
ich ehr für medium grandios. Aber immer noch um Klassen besser als alles
was sonst hier so im Forum neuerdings „diskutiert“ wird.

Das hast Du mal wieder schön formuliert.
Danke.

Liebe Grüße
Silke

PS. Zum Thema hatte der @dottore schon früher bestimmte Aspekte ausformuliert, wenn auch unschärfer artikuliert als @Ashitaka:
"Macht ist die Institution für eine menschliche Gesellschaft/Gruppe, die das Gewaltmonopol, das Steuermonopol und das Geldmonopol für sich beanspruchend vereinnahmt und darüber ausschließlich verfügt.
Diese drei Monopole sichern die vollständige Kontrolle über die gesamte Gesellschaft/Gruppe, die unter dieser Macht leben.
Die Institution Macht ist immer mit natürlichen Personen hinterlegt, den Machthabern.
Dass es außerhalb der Macht noch eine andere Quelle gibt, die auf Menschen einer Gesellschaft/Gruppe Gewalt ausübt (Naturgewalt), das ist nicht wegzudiskutieren, diese Gewalt schränkt die Macht mit der Wirksamkeit ihrer Verfügung mittels ihrer drei Monopole über die Gesellschaft/Gruppe ein.
http://www.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=238866


gesamter Thread:

RSS-Feed dieser Diskussion

Werbung

Wandere aus, solange es noch geht.