Antwort

Ashitaka, Donnerstag, 21.01.2016, 10:43 (vor 3257 Tagen) @ nvf336908 Views

Hallo nvf33,

...Alles was über diese Vorstellung hinausgeht,
ist Wirklichkeit.


Na bitte! Es gibt sie also auch in Deiner Welt, die Wirklichkeit - wie
schön!

Die Wirklichkeit ist niemals mit einem Bewusstsein zu greifen, niemals Bewusstseinsinhalt. In meiner Welt gibt es nur Simulationen, d.h. Realitäten.

Anders ausgedrückt: Es gibt immer nur Facetten der Wirklichkeit.

Ich mag die Wirklichkeit, wirklich.

Wie begegnet man ihr?

Das man sich über sie täuschen kann, will ich durchaus nicht bestreiten.
Aber allein weil man sich täuschen kann, besteht auch die Möglichkeit,
sich eben nicht zu täuschen und der Wahrheit näher zu kommen. Ohne diese
Erkenntnis wird jegliche Philosophie zu relativistischer Beliebigkeit. Gern
kannst Du diese Erkenntnis auch Entscheidung oder Urteil nennen, aber sie
bleibt eine reale, wirkliche Option, mit realen und höchst wirksamen
Konsequenzen.

Wir können uns leider nur Gedanken über die Wirklichkeit machen, d.h. sie uns ausschließlich simulieren. Wenn du schreibst, dass du die Wirklichkeit wirklich magst, dann beziehst du dich auf Vorstellungen der Wirklichkeit, nicht auf die Wirklichkeit. Für die Wirklichkeit reicht kein Bewusstsein aus, wodurch der Mensch in seinen Gedanken an ein davor und danach über Jahrtausende inspiriert wurde bzw. wird.

Das jüdische Bildnisverbot ist gewiss ein netter Hinweis, dass man es mit
den konkreten Seins-Aussagen vielleicht nicht übertreiben sollte, aber
buchstäblich genommen ist das Verbot eine höhnische Erniedrigung für uns
Irdische - bitte, wers mag.

Es geht nicht um erniedrigende Denkverbote, sondern um die Bewusstwerdung, dass wir die Welt simulieren. Vor diesem Hintergrund ist natürlich auch die Aufforderung "wir müssen von neuem geboren werden" zu verstehen. Die Hand vor dir auf dem Tisch existiert (tritt nur heraus), weil du sie als einen Körper bzw. dein Körperteil simulierst.

Es taugt wohl zum Lamentieren und zur Abstraktion, aber es ist doch eine
Negation und in der Tiefe das Eingeständnis in die Weigerung oder
Unfähigkeit zur Annäherung an das Absolute.

Nein, ganz im Gegenteil. Das Bildnis verführt uns, so wie auch das Wort, d.h. der Text, als Bildnis (Signifikant) die Grenzen des Denkens bestimmen will.

"Die Welt ist Text" (Jean Baudrillard).

Zu der Frage, was denn unsere Sinneswahrnehmungen mehr sind, wenn nicht
"sinnbasierte Simulationen", scheint mir Goethe und in seiner Folge Barthel
etwas Wahres übermittelt zu haben:
Die Sinneswahrnehmung entspricht ihnen nach etwa einem Radio, das etwas
Reales und Wirkliches übersetzt. Die Funkwellen sind die Stellvertreter
realer Sender-Qualitäten, und das Radio das Sinnesorgan zur
Rückübersetzung der Stellvertretung in seelische Qualitäten. Nicht das
Auge sieht, sondern die Seele. Das Auge übersetzt nur, und auf der
physiologischen Ebene ist es tatsächlich NUR eine sinnbasierte Simulation
der Wirklichkeit. Aber mit der sinnbasierte Simulation können wir ohne
wertende Entscheidung durchaus nichts anfangen.

Natürlich nicht. Nur sind die Entscheidungen, da sie auf keinem äußeren Referenzpunkt basieren, ebenfalls simuliert, damit real. Oder anders ausgedrückt: Jeder bewusste Referenzpunkt ist nur "ein" Abbild der Wirklichkeit, niemals Wirklichkeit. Die wirkliche Entscheidung gibt es nicht.

Wenn wir diese Entscheidung jedoch verweigern, dann erhält der
alttestamentarische Psalm 9, 21 seine volle Berechtigung (Übers. 1869):
"Gib Ihnen, Herr, einen Meister, dass die Heiden erkennen, dass sie
Menschen sind.
"

(oder in der Übersetzung am Bahnhof Neustadt in Dresden:
"Setz, Ewiger, Entscheidung ihnen, damit die Völker wissen, dass sie
Menschen sind.
"
oder Luther i.d. Fassung von 1984:
"Lege, HERR, einen Schrecken auf sie, dass die Heiden erkennen, dass
sie Menschen sind.
"

Der Mensch soll sich entscheiden. Und er wird es auch immer wieder tun. Da die Realität Simulation ist, wird sie sich zwangsläufig selbst einholen. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch wird sich nicht mehr entscheiden können, da ihm nur noch ein auf sich selbst verweisendes Signifikant vorgehalten wird.

Die Entscheidung, wie es dann weiter geht, sie wartet.

Im Entschluss, den Weg zu guten Entscheidungen ohne Gewalt zu finden
Herzlich
nvf33

Herzlichst grüßend,

Ashitaka

--
Der Ursprung aller Macht ist das Wort. Das gesprochene Wort als
Quell jeglicher Ordnung. Wer das Wort neu ordnet, der versteht wie
die Welt im Innersten funktioniert.


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