Das Szenario der Zukunft mit Negativzinsen (speziell für @Amos)

Phoenix5, Donnerstag, 03.03.2016, 02:20 (vor 2997 Tagen)11738 Views
bearbeitet von unbekannt, Donnerstag, 03.03.2016, 03:19

Nachdem ich hier das Szenario für den wirtschaftlichen und kulturellen Untergang des Abendlandes skizziert habe, hat mich @Amos gefragt, warum Negativzinsen nicht das Mittel der Wahl wären, um einen neuerlichen Aufschwung zu initiieren. Da meine Antwort länger ausfiel als erwartet, verpasste ich ihr noch eine Einleitung und stelle sie hiermit zur allgemeinen Diskussion:


Vorweg: Noch nie gab es in der gesamten Geschichte des Patriarchats so etwas wie Negativzinsen (es sei denn man definiert den Diskont als Negativzins). Die Zahl Null wurde wahrscheinlich erst 400 n. Chr. verwendet und von da weg war es ein langer Weg zur formalen Anerkennung von negativen Zahlen. Die Inder waren um 600 nach Christus die ersten, die damit rechneten, während sie zuvor zwar bekannt (v.a. in China), aber nicht als für sich selbst stehende Zahlen anerkannt waren. Man akzeptierte sie nur als Zwischenlösung für Gleichungen, nicht aber als Ergebnisse, da negative Zahlen ja weniger als Nichts seien und ihnen deshalb auch keine formale Existenz zugesprochen werden könne. Im Abendland entdeckte man erst um 1000 herum die Zahl Null neu und bis zur Anerkennung von negativen Zahlen dauerte es noch mehrere Jahrhunderte. Dennoch ist es für den nach Unendlichkeit und Abstraktion strebenden Abendländler, der sogar im Raum der Abstraktionen die Wurzel aus negativen Zahlen ziehen kann, typisch, seine theoretischen Konzepte in die Praxis umzusetzen.

Grundsätzlich geht es – soweit ich das aus den Medien verstanden habe – bei Negativzinsen primär NICHT um eine negative Verzinsung von privaten Sparguthaben, sondern um eine negative Verzinsung von Geschäftsbankguthaben, das bei der Zentralbank parkt. Der Sinn dahinter soll der sein, dass die Banken doch besser Kredite verschleudern sollen als das Geld zu parken. Das bedeutet: Exakt der Vorwurf, den man den Banken nach der ersten deflationären Implosion 2008 gemacht hat – die unkontrollierte Kreditvergabe unter Missachtung der Kundenbonität – wird jetzt Gesetz: Den Debitismus in seinem Lauf hält eben weder Ochs noch Esel auf.
Hier liegt aber bereits das erste Missverständnis klassischer Ökonomen vor. Wenn die Pferde nicht mehr saufen, dann saufen sie nicht mehr – egal wieviel Kredite die Banken bereit sind zu vergeben. Ohne Nachfrage, gibt es auch kein Angebot. Und die Pferde saufen nur dann, wenn sie müssen, d.h. hauptsächlich wenn sie unter Innovationsdruck stehen. Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen und wenn, dann nur im kulturellen Ausland (Outsourcing) und unter wesentlich billigeren Konditionen, als sie eine überaltete, überschuldete Kultur und ein überschuldeter Staat mit überbordender Bürokratie je bieten könnten.

Weitet man die Negativzinsen für Geschäftsbanken aber nun aus oder kommen die Bilanzen der Banken unter die Räder, werden die Geschäftsbanken die Negativzinsen an ihre Kunden weitergeben. Weil man Zweiteres schon seit mindestens 2013 befürchtet, hat man vorsorglich im selben Jahr ein Gesetz (gültig ab 2016) verabschiedet, das die Banken dazu berechtigt sich im Falle einer drohenden Pleite bei ihren Sparern schadlos zu halten, was – wie ich auch 2013 schon sagte – selbstverständlich nur mit einer starken Einschränkung oder Abschaffung des Bargeldverkehrs möglich ist (Hier müssten eigentlich die Vollgeld-Apostel frohlocken), da die Leute ja sonst ihr Geld unter der Matratze horten würden. Abgesehen vom totalitären Charakter dieser Entscheidung, müsste man als klassischer Ökonom, ebenso wie als Gesellianer doch jubeln: Negativzinsen auf Spareinlagen – DER Weg zur Bekämpfung der Deflation! Weit gefehlt!

Warum dieses Konzept nicht greift, kann keine der etablierten Theorien erklären (die ja auch bisher allesamt kläglich versagten) – nur der Debitismus. Im Debitismus darf es zu keiner signifikanten Bilanzverkürzung bei „Gesamtverschuldung/Gesamtguthaben“ kommen, da die Kredite, die vergeben wurden, nominal fixiert sind, während die Sicherheiten für diese Kredite, im Preis schwanken können, d.h. nehme ich 500.000 Euro Kredit auf und verpfände dafür mein Haus, dann habe ich auch dann noch 500.000 Euro Schulden, wenn mein Haus morgen beim Einbruch der Immobilienpreis plötzlich nur mehr 100.000 Euro wert ist (überspitzt formuliert). Und dann haben ich und die Bank ein Problem. Solche Einbrüche kann der Kapitalismus isoliert (auf eine Branche oder ein Asset bezogen) verkraften, nicht aber wenn dieses Szenario in einer Deflation den gesamten (hochvernetzten) Wirtschaftsraum betrifft. Und damit das nicht passiert, muss es eine Nettokreditaufnahme im Wirtschaftsraum geben, welche die Nettokredittilgung mindestens kompensiert, besser aber überkompensiert. Nur neue Schulden sind im Debitismus der Treibstoff, der die Maschine am Laufen hält. Warum das so ist, habe ich hier versucht zu erklären:

http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=292045

Weil diese Nettokreditaufnahme aber seit spätestens 2008 sukzessive und kontinuierlich zurückgeht und zwar bis zum heutigen Tag, bei niedrigsten Zinsen (der Debitismus frisst seine Schuldner), ist bisher der Staat als Neuschuldner eingesprungen. Dem steht aber (v.a. mit Blick auf die Zukunft: Demographie, Renten, Wirtschaftskrise, Bankenschieflagen, Versicherungskrise, etc.) das Wasser mittlerweile bis zum Hals. Will er also nicht vollends kapitulieren und den Griff zur Druckerpresse offen wagen (verdeckt macht er das ohnehin schon durch Verkauf von Staatstiteln an die GB, die sie wiederum zur Refinanzierung bei der ZB hinterlegt) – was ihn international zur Bananenrepublik machen würde, der niemand mehr Geld leiht, muss er sich beim Bürger schadlos halten. Wie heißt es so schön: Wenn der Staat bankrott geht, geht natürlich nicht der Staat bankrott, sondern seine Bürger.

Nachdem ich versucht habe zu erklären, warum nur Neukredite die Wirtschaft ankurbeln, will ich ins Detail gehen, warum Negativzinsen keiner nachhaltigen (!) Inflation den Weg ebnen können. Bevor ich hier aber Romane schreibe, zitiere ich gleich aus meinem Buch:

„Die modernen Vertreter der ökonomischen Kaste hängen noch immer der falschen, von der österreichischen Schule der Nationalökonomie beeinflussten, Ansicht an, dass ein Anwachsen der Geldaggregate, d.h. des Bargeldes, Buchgeldes und aller davon abgeleiteten Derivate (M0, M1, M2, M3) irgendwann als starke Inflation durchbricht. Sie sprechen dann gern von »Geldmengen«. Je größer diese »Geldmenge« sei, desto stärker die Inflation in der Zukunft (!), wenn sich dieses Geld, so die Meinung, durch die Wirtschaft gefressen habe. Diese Ansicht ist vollkommen falsch. Existierendes Geld, wie Bargeld oder Buchgeld, hat bereits gekauft, d.h. es war bereits nachfragewirksam. Wenn ein Unternehmer einen Kredit aufnimmt, d.h. im Sinne der »Austrians« die Geldmenge erhöht und damit ein Produkt A kauft, dann entsteht damit eine Nachfrage nach diesem Produkt und sein Preis erhöht sich. Das bedeutet, dass der Kredit bereits inflationär wirksam war – und zwar zum Zeitpunkt des Kaufes und nicht irgendwann in der Zukunft.“

Das bedeutet im Klartext, dass Negativzinsen zwar zu einer Sachwert-Hausse führen, weil die Leute nach Sicherheiten suchen. Dass aber gleichzeitig dieses, in die Sachwerte verschobene Geld woanders fehlen muss und dementsprechend dort die Preise senkt bzw. zu Pleiten führt. Eine nachhaltige Inflation, wie sie nur durch eine Lohn-Preis-Spirale im kapitalistischen Hochsommer oder theoretisch (historisch nie nachgewiesen) durch eine Nettogeld-Flutung im kapitalistischen Winter stattfinden kann, ist in diesem Fall ganz und gar unmöglich. Selbst wenn also beispielsweise Gold und Silber eine beispiellose Hausse hinlegen würden, so würden sie das in einem deflationären Umfeld tun und dieser Anstieg würde irgendwann in sich selbst enden und schließlich zu einem Preiskollaps führen.

Summa summarum kann also gesagt werden, dass sowohl Negativzinsen, wie auch die vom IWF vorgeschlagene Guthaben-Steuer nichts anderes sind als Abgaben: Negativzinsen an die Bank (damit der Staat nicht mehr einspringen muss) und die Guthaben-Steuer an den Staat (der sich damit versucht über Wasser zu halten). Wie eine Erhöhung von Steuern und Abgaben inflationär wirksam sein sollen, wird mir erst einmal ein Anhänger der Mainstream-Mickey-Mouse-Ökonomie erklären müssen. Dass Negativzinsen Hand in Hand gehen mit negativer Verzinsung der Staatsanleihen ist ein Kapitel für sich und der beste Indikator dafür, dass der Staat am Ende ist (zuvor wird die Blase bei Staatsanleihen noch gigantisch wachsen). Letztendlich wird das passieren, was immer passierte: Die Druckerpresse (im alten Rom: Münzverschlechterung) wird die Deflation zur jahrzehnte- bis jahrhundertelangen Rezession ausdehnen und die Menschen sukzessive verarmen lassen, bis sie sich der Beutelust junger Kulturen hingeben und die entsprechende Kultur in die Annalen der Geschichte eingeht.

Beste Grüße
Phoenix5


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