Peter Sloterdijk und das W.A.T.C.H. (Worldwide Automated Transaction Clearing House)

Liated mi Lefuet, Sonntag, 19.04.2015, 22:56 (vor 3315 Tagen) @ Kostan5059 Views
bearbeitet von unbekannt, Sonntag, 19.04.2015, 23:40

Sali Kostan

Nochmals ganz herzlichen Dank für die beiden Bilder des (de)zentralen Clearings. Schlicht top gemacht.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Trotzdem sei gesagt bzw. geschrieben: Man sollte die immense Bedeutung der unterschiedlichen systemischen Saldenentwicklung zwischen zentralem (Fachjargon: multilateral) und dezentralem (Fachjargon: bilateral) Clearing ja nicht unterschätzen. Wie das die im WWW herum geisternde Geschichte zu tun scheint: Die des Clowns, der eine Münze fand, die dann eine wahre „Clearing-Orgie“ auslöste und alle von Schulden (und Guthaben!) befreite. Dito die analoge Geschichte eines reichen Touristen, der eine Banknote an der Hotel-Rezeption hinterlegte, die denselben Clearing-Effekt zeitigte. Sogar Peter Sloterdijk erzählte diese Geschichte (siehe auf Youtube. Sie dauert 1 Min 49 Sek) genüsslich seinem ziemlich verdutzten Publikum.

Ich wette, den Clou dieser Geschichte(n) haben –wenn überhaupt – nur die Wenigsten verstanden, zu denen Sloterdijk m.E. leider nicht gehört. Dabei wäre es simpel: Ein dezentral aufgebauter und somit vernetzter Schulden/Gutenhaben-Kreis (S-G-K) unter Nichtbanken wird via Note bzw. Münze zentral verrechnet. Das wäre auch ohne Noten und Münzen gegangen, wenn alle Beteiligten Kunden derselben Bank gewesen wären: Einer von ihnen hätte sein Girokonto überzogen. Dessen überzogener Giro-Saldo hätte der Letzte im S-G-K via abschließende Überweisung wieder glatt gestellt, wie Du ja weißt.

Eine Hierarchiestufe „höher“, manifestiert sich das dezentrale S-G-K-Problem rein unter Banken, die wiederum eine Abrechnungs-Stelle für zentrales Clearing benötigen würden. Offensichtlich haben das die Anhänger des „Free Banking“ (--> ZBen würden weltweit abgeschafft) wenigstens (an)erkannt. Sie wollten ein globales Clearing House einrichten.(Siehe zu "Free Banking" Wikipedia).

Vor wenigen Jahren hatten die Großbanken diesen Gedanken aufgenommen. Im Jahr 2000 starteten sie ein Projekt mit dem Namen W.A.T.C.H. (Worldwide Automated Transaction Clearing House) für die globalen Nichtbanken-Zahlungen, das im Sande verlief (im 2002). Quelle: Clear-It Nr 7, 2000 http://www.six-interbank-clearing.com/dam/downloads/de/clearit/clearit7.pdf

Wie die privaten, international tätigen Banken im de-regulierten Umfeld, kämen sogar die ZBen nicht um das dezentrale S-G-K-Problem im regulierten Finanzenwesen herum. Statt wie die heutigen Banken, würden halt nun die ZBen untereinander ein weltumspannendes, dezentrales Clearing-Netzwerk bilden. Mit einem „Loch“ in der Mitte: Die globale Abrechnungs-Stelle für zentrales Clearing fehlte –nennen wir sie T.A.T.C.H. (Transnational Automated Transaction Clearing House). Nur mittels T.A.T.C.H. wäre es möglich, die geisterhaften Schulden und Guthaben der ZBen untereinander, größtenteils wieder aufzulösen: Es wäre genau die globale Clearing-Zentrale, die Keynes oder Varoufakis forderte und von der @politicaleconomy (und ich) immer „faseln“.

Denn die dezentralen, weltweit verknüpften *heutigen* Schulden und Guthaben im Interbanksektor (v.a. der Großbanken) sind größtenteils leere, gefährliche Gespentster, die niemand braucht. Nicht einmal die Großbanken, die untereinander _b_r_u_t_t_o_ dezentral verschuldet/verguthabt sind, obwohl sie sich _n_e_t_t_o_ nur einen winzigen Bruchteil schulden bzw. zu guthaben würden.

Witzig –genauer- irrwitzig ist, die ältere Bank-Fachliteratur warnte eindringlich vor der Gefahr der dezentral verknüpften Interbank-Schulden und –Guthaben, Zitat aus dem 725-Seiten Wälzer „Handbuch des Geld-, Bank- und Börsenwesen der Schweiz“ 4. Auflage 1996 von Albisetti et al., S.79 : Die Bankbilanz verrät dem Kundigen auch Finanzierungsfehler, die liquiditätsmäßig gefährlich werden können. Übersteigen zum Beispiel die bei andern Banken aufgenommenen Gelder die gesamten, flüssigen Mittel, so folgt daraus, dass sie zur Finanzierung des Kreditgeschäfts dienen, was wegen der Unstabilität der Interbank-Kredite ungesund ist. Insbesondere, wenn sie zur Gewährung von Hypotheken (sic!) verwendet werden. Tritt die Erscheinung bei Börsenbanken auf, so ist zu vermuten, dass zur Verpfändung von Kundenkrediten (sic!) Zuflucht genommen haben..(.)… In beiden Fällen haben wir es mit einer künstlichen Kreditexpansion zu tun, die betriebswirtschaftlich gefährlich und volkswirtschaftlich unerwünscht sein kann. (Ich hätte statt „unerwünscht sein kann“ geschrieben: ….die volkswirtschaftlich katastrophale Ausmaße annehmen kann: im schlimmsten Fall hin bis zum Kollaps des Weltfinanz-Systems).

Fazit: Dass die Finanzaufsicht 2008 überrascht worden ist, glaube ich sofort. Wenn man mit Rücken gegen den heran brausenden Zug mit Stöpseln in den Ohren auf dem Gleis sitzt, wird man halt „überrascht“;- ) Ist es heute besser? Ich denke, nein.[[wut]]

Freundlicher Gruß

Liated, der das Thema „Konto-Führer“ hier ausgelassen hat. Kommt aber noch. Versprochen.


PS: Für Suchmaschinen

Netting, offsetting, correspondent banking, Skontration


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