Ist "Geld" ein Gegenstand?

BillHicks ⌂, Wien, Donnerstag, 23.03.2017, 19:11 (vor 2801 Tagen)13136 Views

Ist Geld ein Gegenstand? Ein ganz spezieller Gegenstand vielleicht? Wirkt es nicht manchmal ein wenig so als "tauschte" man den Gegenstand Geldschein (Zentralbanknote) gegen einen anderen Gegenstand (Obst, Gemüse, ...) in einem Lebensmittelgeschäft?

Ein Antwortversuch aus einer juristisch-philosophischen und buchhalterischen Perspektive.

Nähert man sich dem Phänomen "Geld" - als Zahlungsmittel - über Rechtskategorien aus der juristischen Praxis, dann kann das Zahlungsmittel aus einer von insgesamt zwei prinzipiell disjunkten Arten von subjektiven Rechten stammen:
- Eigentumsrechte
- Forderungen

[Exkurs:
"Eigentumsrechte" + "Forderungen" (+ "sonstige geldwerte Rechte") = Gesamtheit des sog. "Vermögens". Für den Buchhalter: die Aktiva.
Eigentumsrechte und Forderungen haben also gemeinsam, dass sie beides Rechte (sog. "subjektive Rechte") sind, sie unterscheiden sich aber fundamental in ihrem Wesen:
- der einen Forderung einer Rechtsperson entspricht gerade eine korrespondierende Verbindlichkeit einer anderen Rechtsperson. Wesley N. Hohfeld spricht in diesem Zusammenhang von "paucital rights".
- Eigentumsrechte hingegen wären in Hohfelds Terminologie "multital rights", geldwerte Rechte, die im Vermögen einer Rechtsperson auftauchen es jedoch nicht jeweils genau eine korrespondierende Verbindlichkeit einer anderen Rechtsperson gibt, sondern vielmehr alle anderen Rechtspersonen das Eigentum der einen Rechtsperson (des "Eigentümers") zu respektieren haben. Es handelt sich um Rechte also nicht an der Sache selbst, sondern es sind Rechte einer Rechtsperson gegenüber allen anderen Rechtspersonen.
Wenn irgendein Rechtssubjekt de facto den Eigentumsrechten korrespondierende Verbindlichkeiten zu bilanzieren hätte, dann wäre es der dieses Eigentum garantierende Staat, der aber ja gerade nicht bilanziert. Bilanzen sind Teil einer von privaten Rechtspersonen entwickelten Technik, die "Technik des betrieblichen Rechnungswesens", um über privatrechtliche Rechte und Pflichten "Buch" zu führen, d.h. den Überblick für die tägliche Geschäftspraxis über Nettovermögen (Aufwand/Ertrag), Nettogeldvermögen (Einnahme/Ausgabe) und Zahlungsmittelbestand (Einzahlung/Auszahlung) zu behalten.
In den öffentlich-rechtlichen Körperschaften hat sich aus den dort ganz anders als im Privaten liegenden öffentlichen Notwendigkeiten heraus die sog. "Kameralistik" entwickelt. Der Versuch (kommunale) Gebietskörperschaften auf doppelte Buchführung umzustellen gestaltet sich in der öffentlich-rechtlichen Praxis heute dementsprechend in den Bewertungen der Vermögenswerte erwartbar willkürlich. Aber das ist hier ein Nebengleis.
Zurück zum Phänomen Geld, bzw. Zahlung.]

Es kann "Erfüllung" einer Verbindlichkeit durch Übertragung von Eigentumsrechten bewirkt werden.
Es kann auch "Erfüllung" einer Verbindlichkeit durch Übertragung von Forderungen ("Zession", d.h. Abtretung einerseits, aber auch Aufrechnung) bewirkt werden.

[Exkurs:
Anstatt einer "Erfüllung" durch Übertragung just des geschuldeten Eigentumsrechtes oder einer geschuldeten Forderung kann auch "Zahlung an Erfüllung statt" erfolgen oder es kann eine andere Art von Forderung auch "erfüllungshalber" abgetreten werden.]

Je nach dem was genau geschuldet ist kann Erfüllung durch Übertragung von Eigentumsrechten oder Übertragung von Forderungen bewirkt werden. Niemals jedoch wird die Erfüllung durch die Übertragung eines Gegenstandes selbst erfüllt - das gilt insbesondere auch dann, wenn etwa ein Gegenstand ausgehändigt wird und just mit der Übergabe des Gegenstands auch das Eigentum auf den neuen Eigentümer übergeht. Es wird die Erfüllung der Schuld durch Übertragung des Eigentumsrechtes bewirkt, nicht durch die Übergabe des Gegenstandes.
Dazu: Im Kleingedruckten von Kaufverträgen wird häufig der "Eigentumsvorbehalt" dergestalt ausgeführt, dass gerade auch nach Übergabe des Gegenstandes, d.h. nach Wechsel des Besitzes vom Verkäufer auf den Käufer, das Eigentum weiterhin im Vermögen des Verkäufers verbleibt und zwar bis zur vollständigen Bezahlung (= Erfüllung!) durch den Käufer.

Da mit "Zahlung" gemeinhin die Erfüllung einer Geldschuld gemeint ist, kann ein Zahlungsmittel niemals selbst ein Gegenstand sein. Jedenfalls dann nicht, wenn zwischen Eigentum und Besitz konzeptionell sauber unterschieden wird. Diese Unterscheidung ist für die juristischen und buchhalterischen Praktiker von höchster Relevanz und kann deshalb auch von ökonomischen Geldtheoretikern nicht einfach ignoriert werden. Geld - als Zahlungsmittel - kann im konkreten Fall ein bestimmtes Eigentumsrecht aber gerade nicht der Gegenstand selbst sein. Geld - als Zahlungsmittel - kann aber zudem in einem anderen Fall auch eine Forderung sein. Das heißt es ist nicht "entweder oder", sondern gerade "sowohl als auch", und zwar jeweils am rechten Ort:
WEDER ist jedes Eigentumsrecht Zahlungsmittel,
NOCH ist jede Forderung Zahlungsmittel.
In der Geldgeschichte wurde SOWOHL die Übertragung bestimmter Eigentumsrechte zu Zahlungszwecken akzeptiert ALS AUCH die Abtretung/Aufrechnung bestimmter Forderungen. Im Goldstandard etwa gab es die Akzeptanz bestimmter Eigentumsrechte auf einer bestimmten Ebene der "Geldhierarchie" (Eigentumsrechte an Gold) und zugleich die Akzeptanz bestimmter Forderungen (z.B. gegen eine Zentralbank) auf einer anderen, tiefer liegenden Hierarchieebene (Nationalstaat), während noch weiter unten in der Hierarchie auch indossierte Forderungen gegen Unternehmen als Zahlungsmittel akzeptiert wurden etc.

Aus der buchhalterischen Perspektive betrachtet: noch nie in der Geschichte der doppelten Buchführung ist ein Gegenstand in einer Bilanz "gelandet".
In Bilanzen werden die Bewertungen von Eigentumsrechten und die Bewertungen von Forderungen, d.h. die BeWERTungen von RECHTEN eingetragen. Niemals werden Gegenstände selbst eingetragen. Außer Tinte und möglicherweise Schweiß des Buchhalters landet in einer Bilanz überhaupt niemals irgendein Gegenstand.

Das ganze Phänomen "Wirtschaft" ist zuvörderst ein juristisch-abstrakter Prozess, der von den privaten Akteuren buchhalterisch gefasst und dessen Nachvollzug in der physisch-psychischen Wirklichkeit statt findet. All zu grobe Abweichungen werden durch Gewaltandrohung und im äußersten Fall auch Gewaltanwendung möglichst verhindert. Die Welt der materiellen und immateriellen Gegenstände ist die physisch-psychische Wirklichkeit. Sie entspricht nicht der juristisch-abstrakten Wirklichkeit. Diese juristisch-abstrakte Wirklichkeit ist ihrerseits aber ebenfalls eine WIRKlichkeit, wenn die Nichterfüllung von Pflichten WIRKsame Konsequenzen, etwa innerhalb einer (rechts-)staatlichen Ordnung hat.

[Beispiel: ein unmittelbarer "Besitzer" (= Mieter) einer Wohnung hält sich irrtümlich zugleich für den "Eigentümer" (= Vermieter), d.h. er unterscheidet Eigentum und Besitz nicht, und versucht das Wohnungseigentum als Kreditsicherheit durch Bestellung eines Grundpfandrechts zu nutzen. Spätestens der Notar - als juristischer Praktiker mit der Unterscheidung Eigentümer und Besitzer freilich explizit vertraut - wird hier einen Strich durch die von scharfen juristischen Unterscheidungen freie Rechnung des bloßen Besitzers (= Mieter) machen. Die Ignoranz des bloßen Besitzers der juristischen Grundlagenunterscheidung Eigentum/Besitz führt hier zu wirksamen Konsequenzen in der physisch-psychischen Wirklichkeit: die Grundpfandrechtsbestellung durch den Besitzer bleibt aus. Eine solche Operation kann nur der Eigentümer rechtmäßig ausführen.]

Das Postulat "Geld ist ein Gegenstand", muss unter Berücksichtigung der Basis-Unterscheidungen der juristisch-abstrakten Wirklichkeit verworfen werden. Geld - als Zahlungsmittel - kann kein bloßer Gegenstand sein.
Bestimmte Eigentumsrechte können Zahlungsmittel sein. Auch bestimmte Forderungen können Zahlungsmittel sein. Ein Gegenstand selbst kann kein Zahlungsmittel sein.

Abschließend noch einige generelle Anmerkungen zum vieldeutigen Begriff "Geld":
Ich habe den Begriff Geld oben immer im Sinne von "Zahlungsmittel" verwendet, mit dem Begriff "Geld" wird aber - u.U. auch unter Fachleuten - nicht immer ausschließlich nur Zahlungsmittel gemeint. Insbesondere die österreichische Schule der Nationalökonomie (Ludwig v. Mises) lehnt die Sichtweise auf Geld als Zahlungsmittel als "juristisch" ab (siehe Ludwig von Mises, "Theorie des Geldes und der Umlaufmittel", S. 13).
Es kann mit "Geld" auch das "Geldvermögen" oder gar das "Nettovermögen" gemeint sein. Es kann zudem die Rechnungseinheit selbst gemeint sein ("der Betrag ist soundsoviel Euro"; "in Euro nominierte Forderungen" --> € ist die Rechnungseinheit, hier ist also weder von Zahlungsmittel, noch von Geldvermögen oder Nettovermögen die Rede).
Zudem kann auch abstrakt vom Phänomen selbst als "Geld" gesprochen werden ("Das Geld" sorge für dies und das und jenes...).

Meines Erachtens nach sollte der Begriff "Geld" nach Möglichkeit ganz vermieden werden, wenn man statt "Geld" auch klarer sagen kann, was genau man meint:
- meint man ein Zahlungsmittel, sollte man Zahlungsmittel sagen; bestandsverändernde Vorgänge werden buchhalterisch erfasst über: Einzahlungen, Auszahlungen
- meint man Geldvermögen, sollte man Geldvermögen sagen; bestandsverändernde Vorgänge werden buchhalterisch erfasst über: Einnahmen, Ausgaben
- meint man Nettovermögen, sollte man auch Nettovermögen (oder Reinvermögen) sagen; bestandsverändernde Vorgänge werden buchhalterisch erfasst über: Ertrag, Aufwand
- meint man eine Rechnungseinheit, sollte man auch Rechnungseinheit sagen.

Danke für's Lesen und Euer Feedback.

Alles Liebe

--
BillHicks

..realized that all matter is merely energy condensed to a slow vibration – that we are all one consciousness experiencing itself subjectively. There's no such thing as death, life is only a dream, and we're the imagination of ourselves.


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