Kosmos und Taxis

Fabio ⌂, München, Donnerstag, 22.01.2015, 12:16 (vor 3973 Tagen) @ BillHicks3874 Views

Hi Bill,

Öffentlichen gibt. Gibt es "vorstaatliches Eigentum"? Antwort: Nein.


Das ist historisch gemeint, nehme ich an.


Meinerseits nicht.

Ok. Dachte wegen der Vorsilbe "Vor-". Also geht es Dir um "nichtstaatliches Eigentum"?

Genau.
Es kommt gänzlich auf die Definition von "Eigentum" an. Oder als Frage:
was ist die Eigentumstheorie? Ich hatte mich dazu mal u.a.
hier
mit @azur darüber ausgetauscht. Weiter
hier.
Diskussion ist dann allerdings eingeschlafen - mea culpa.

Was ist denn Deine Definition von Eigentum?

Ich entnehme dem, dass Du die Eigentumstheorie von Locke für unsinnig hälst. Sprich seinen Versuch Eigentum zu begründen bzw. moralisch zu rechtfertigen.
Ich kann seiner Argumentation grundsätzlich folgen.

Meine Definition: das uneingeschränkte Verfügungsrecht über eine Sache. Das muss durchsetzbar sein, um eine praktische Bedeutung zu haben, aber das ist für mich keine conditio sine qua non. Ich kann z.B. Enteignungen auch dann ungerecht finden, wenn ich mich nicht dagegen wehren kann.

Für einen Anarchokapitalisten klingt die
Frage so, als hättest Du nach vorstaatlichem Leben gefragt, da

Eigentum

zuallererst Selbsteigentum bedeutet.


Eigentum = Selbsteigentum?
Ist das Deine Definition von Eigentum?

Das wäre wohl keine "Definition". Es ist für mich eher die Ausgangsbasis. Niemand hat das Recht mich zu verkaufen und mir ist es im Zweifel egal, wenn ich der einzige und letzte bin, der versucht dieses Recht durchzusetzen.

Mich interessiert auch, ob nachstaatliches Eigentum möglich ist.


Wenn nicht geglaubt wird Eigentum entstünde aus Arbeit (oder ähnlichem,
siehe z.B.
Eigentumstheorie
von Locke
), sondern Eigentum als ein Recht begriffen wird, dann
braucht es auch eine Jurisdiktion, innerhalb der ein solches Recht
durchsetzbar ist. Ein nachstaatliches Eigentum kann ich mir deshalb schwer
vorstellen, was allerdings noch nichts heißen muss. Nicht auszuschließen,
dass sämtliche oder Teile derjenigen Funktionen, die die zivile und
fiskalische Infrastruktur derzeit übernehmen und damit u.a.
(wirtschaftlich wirksames und nicht bloß rein theoretisches) Eigentum
hervor bringen, zukünftig anderweitig erfüllt werden könnten. Mglw. auf
Arten und Weisen, die weder Du noch ich derzeit für denkbar oder möglich
halten, mglw. spielt das was aktuell noch Cryptocurrencies genannt wird
dabei eine Rolle (demnächst hoffe ich auf grünes Licht dem Forum meine DA
dazu zur Verfügung stellen zu können, bitte noch um etwas Geduld).

Da bin ich schon gespannt (Crypto-Eigetumsdurchsetzung)!
Meine Position ist die, dass ich es für denkbar halte oder halten möchte, dass solche dezentralen Jurisdiktionen möglich sind. Sozusagen als Maximalforderung, damit die Selbstverständlichkeit, mit der ein Gewaltmonopolist als unabdingbar vorausgesetzt wird aufgebrochen wird. Früher gab es ja auch Menschen, die meinten ohne einen Monarchen würde Mord und Totschlag an die Tagesordnung kommen.
Ich glaube, dass "Eigentum" und "Recht" unabhängig von den Instanzen existieren, die sie schützen sollen, also diese Instanzen auch erst ins Leben gerufen wurden, weil eine Nachfrage nach Problemlösung besteht.
Dieser Autor hier beobachtet das zB auch bei Affen:
Entstaatlichung der Rechtsordnung: Ein Modell ohne staatliches Rechtssetzungs- und Gewaltmonopol (Festschrift zum Schweizerischen Juristentag, „Individuum und Verband“)
http://www.freitum.de/2013/10/entstaatlichung-der-rechtsordnung-ein_14.html

Eigentumsrendite_Eigentümer_X > Wirtschaftswachstum
(Eigentumspreiswachstum insgesamt) --> Vermögenskonzentration

[Ich glaube etwas ähnlich Vereinfachtes machte letztes Jahr in Form von
Pikettys Buch die Runde, ich gebe allerdings zu mich mit diesem Buch nicht
weiter beschäftigt zu haben, nachdem mir klar wurde, dass Piketty den
Unterschied von Besitz und Eigentum noch nicht berücksichtigt hat.]

Ich habe den Verdacht, dass es ohne staatliche Protektion weniger Vermögenskonzentration gäbe und dass die generell nicht so problematisch ist, dass sie einen Eingriff rechtfertigt, der bedeutet, dass es einen sehr sehr mächtigen Schiedsrichter geben muss.
Piketty habe ich nicht weiter verfolgt, als ich den Eindruck gewonnen habe, dass er sehr enteignungsapologetisch zu argumentieren scheint, aber ich weiss so wenig über ihn, dass das auch ein reines Vorurteil sein könnte bzw eine mediale Fehldarstellung.

und wieviel Macht die Figur des gutmeinenden
umverteilenden Enteigners haben sollte


Ganz dringend und unbedingt so wenig wie möglich!!!
(aber eben auch unbedingt so viel wie nötig..!)

Naja. Da bin ich jetzt auch nicht schlauer. Dem werden vermutlich 99% aller Menschen zustimmen.

Gibt es
eigentlich ein globales Ranking i.S. Massenmord und an welcher Stelle
taucht der erste Konzern auf?


Nicht auszuschließen, dass die katholische Kirche in dieser Liste recht
gut platziert wäre. Gilt dieses Gebilde als Staat oder als Konzern?

Puh. Echt gute Frage. Ich habe ja bzgl. des Finanzsystems oft den Eindruck, dass Staat und Big Banks siamesische Zwillinge sind, die sich nur zum Schein streiten. Noch deutlich ist das beim militärisch-industriellen Komplex.
Der Vatikan war in seiner langen Geschichte vermutlich alles mögliche zwischen Staat und Konzern. Heute wohl eher Konzern und er redet Staaten meines Wissens auch nicht mehr ein für die eigenen Interessen Massenmorde zu begehen.

Schutz von Eigentum ist zwingend nötig um eine Privatwirtschaft zu haben
und letztlich ist es auch das Eigentum als privates Recht, das die Macht
des prinzipiellen Machtmonopolisten Staat einschränkt.
Eigentum ist gewissermaßen ein entsprechender Anteil an eben jener
Staatsmacht und dieser Anteil wird dem Privaten von der Öffentlichkeit
garantiert.
Durch das Eigentum wird der einzelne Private vor staatlicher und sonstiger
Willkür geschützt. Wächst das Eigentum eines Einzelnen, so wächst in
diesem Sinne auch sein Anteil an der Staatsmacht.
Gegen wachsendes Eigentum ist überhaupt nichts einzuwenden, ganz im
Gegenteil.

Ok.


Gleichzeitig ist der Schutz der Gesamtheit der Privaten durch die
Öffentlichkeit vor einem einzelnen Eigentümer, der "zu viel" (in extremo:
sämtliches) Eigentum auf sich vereint dringend nötig um nicht schleichend
und ganz automatisch als Gesellschaft einer Art Refeudalisierung zu
unterliegen, denn riesiges Eigentum repräsentiert einen riesigen Anteil an
der Staatsmacht, welche so in privaten Händen liegt. Ab wann
Eigentumspositionen "Riesig" werden kann ganz sicher niemals in absoluten
Zahlen ausgedrückt werden und auch bei relativen Zahlen (relativ zu den
Eigentumspositionen der Hälfte mit den geringsten Eigentumspositionen zum
Beispiel) möchte ich mich an der Stelle zurückhalten, weil ich mir
darüber noch keine Gedanken gemacht habe.

Ich glaube nicht, dass es zu diesen extremen Auswüchsen überhaupt kommen kann.
Am nächsten kamen wir dem doch immer dann, wenn der einzige Eigentümer der Staat war, oder?


Dennoch weiß ich manchmal nicht genau über welche Gruppe ich mich mehr
wundern soll:
über diejenigen, die die automatische und zunehmende
Eigentumskonzentration wahrnehmen und in ihrem Eifer (gerne auch über
Hintertüren wie "Staatsgeld" etc.) das Eigentum in seiner wirtschaftlichen
Wirkung abschaffen wollen
oder doch über diejenigen, die glauben Eigentum entstünde aus Arbeit
(oder sonst irgendeiner Leistung eines Einzelnen) und die dem Eigentum
inhärente Dynamik und Tendenz zu Konzentration als schon deshalb wenig
beachtenswert einstufen, weil zu seiner Beeinflussung erstaunlicherweise
genau auf diejenige Instanz eingewirkt werden müsste, die das Eigentum
gerade hervorbringt.[[herz]] [[top]]

Wie gesagt, ich bestreite, dass der Staat Eigentum hervorbringt. Prof. Dürr (siehe oben) hat das gut erklärt, finde ich.

Bzgl. Anomie: aus Sicht eines Anarchokapitalisten korrodiert

staatlicher

Eingriff spontan entstehende Ordnungen und Nomoi (was Etatisten

wiederum

motiviert selbst kreierte Probleme mit noch größerem Eifer zu

"lösen").

Ja, genau die spontan entstehenden Ordnungen innerhalb der
Eigentumsökonomie dadurch, dass jeder frei Verträge mit jedem anderen
schließen kann (und das auch guten Gewissens tut, weil beide mit ihrem
Eigentum haften können) würde ich gerne mindestens behalten - egal welche
gesellschaftliche Ordnung, die ich heute noch nicht kenne und sonst in
Frage kommen würde - sie sollte doch mindestens diese Art der spontanen
und einfachen Beziehungen ermöglichen (für Luhmann ist es das "Vertrauen"
in das Geld (Eigentumskind!), das die Komplexität reduziert).

Dass nun genau diese spontanen Ordnungen dadurch nicht mehr entstehen
können, wenn entweder das Eigentum ganz wirkungslos oder abgeschafft wird

oder aber das Eigentum so hoch konzentriert ist, dass eben gerade nicht
mehr alle am Wirtschaften teilnehmen können, ist für mich so klar wie
Kloßbrühe.
Was ich manchmal amüsant, manchmal auch ermüdend finde, ist dass sich
einigermaßen häufig zwei Lager geradezu 'bekämpfen' (meinetwegen
"Marktfundis" einerseits und "Etatisten" andererseits), statt, dass durch
angestrebten Verständniszuwachs versucht wird insgesamt zu besser
informierten Entscheidungen zu gelangen.

Hm. Also da ich die Zahl der "Marktfundis", die sich erlauben überhaupt zu fragen, ob ein friedliches Zusammenleben ohne Gewaltmonoplist überhaupt möglich ist, für mehr als überschaubar halte, bleibe ich lieber Marktfundi, bis deren Überlegungen so selbstverständlich sind, dass ich ev. in die minarchistische Oposition wechsle. Bis dato erscheint mir der "ohne Staat geht nix und wir sind alle Wölfe" Konsens erdrückend.

Was genau ist Dir denn an der Unterscheidung zwischen Anarchie und

Anomie

wichtig?


Für mich als Volllaie ist
Anarchie = Herrschaftslosigkeit
Anomie = Ordnungslosigkeit
und stehen für mich für zwei völlig unterschiedliche Zustände.
LG

Ja und? Ich hatte gefragt, weil Du von Ankaps mit offenstehenden Mündern berichtet hast. Die haben vielleicht nicht altgriechisch gehabt und von der Unterscheidung nie gehört, aber ich kenne keinen Ankap, der meint Herrschafslosigkeit würde zu Ordnungslosigkeit führen. Ankaps und auch etwas weniger radikale Liberale meinen wie gesagt ja gerade, dass der Staat zu mehr Ordnungslosigkeit führt ("gemäßigte" Liberale wieder nicht, auch da gibt es ja jede Schattierung...).

Ich plädiere für mehr Kosmos und weniger Taxis:

"Es stehen verschiedene Ausdrücke zur Verfügung, um jede Art von Ordnung zu bezeichnen. Die gemachte Ordnung, die wir auch schon als eine exogene Ordnung oder eine Anordnung bezeichnet haben, kann auch als eine Konstruktion, eine künstliche Ordnung oder, besonders wo wir es mit einer gelenkten sozialen Ordnung zu tun haben, als eine Organisation beschrieben werden. Die gewachsene Ordnung andererseits, die wir sich-selbst-erzeugend oder endogen genannt haben, wird am besten als eine spontane Ordnung bezeichnet. Das klassische Griechisch war in einer glücklicheren Situation, da es verschiedene einzelne Wörter für die beiden Arten von Ordnung zur Verfügung hatte, nämlich Taxis für eine gemachte Ordnung, wie etwa eine Schlachtordnung und Kosmos für eine gewachsene Ordnung, ein Ausdruck, der ursprünglich ‘eine richtige Ordnung in einem Staat oder in einer Gemeinschaft’ bedeutet."
F.A. Hayek
(Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, München 1980, S. 59)

LG

Fabio

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“We are on strike against the dogma that the pursuit of one’s happiness is evil. We are on strike against the doctrine that life is guilt." John Galt

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