"Marktfundis" vs. "Etatisten" - und was machen, die die einfach bloß besser verstehen wollen?
Hi Bill,
Hi Fabio,
ich will mich nicht in Nicos Kampf gegen das Forum beherrschende
Strohmänner einmischen, aber ein paar Deiner Bemerkungen machen mich
neugierig.
ok, let's go. Wobei ich das mit den "Strohmännern" nicht ganz verstehe. Habe diesen Kampf wohl verpasst. Sei's drum.
Es ist die Frage ob es einen Privaten Sektor geben kann, wenn es keinen
Öffentlichen gibt. Gibt es "vorstaatliches Eigentum"? Antwort: Nein.
Das ist historisch gemeint, nehme ich an.
Meinerseits nicht.
Ich nehme an, es kommt auf die
Definition von "Eigentum" an.
Genau.
Es kommt gänzlich auf die Definition von "Eigentum" an. Oder als Frage: was ist die Eigentumstheorie? Ich hatte mich dazu mal u.a. hier mit @azur darüber ausgetauscht. Weiter hier. Diskussion ist dann allerdings eingeschlafen - mea culpa.
Was ist denn Deine Definition von Eigentum?
Für einen Anarchokapitalisten klingt die
Frage so, als hättest Du nach vorstaatlichem Leben gefragt, da Eigentum
zuallererst Selbsteigentum bedeutet.
Eigentum = Selbsteigentum?
Ist das Deine Definition von Eigentum?
Mich interessiert auch, ob nachstaatliches Eigentum möglich ist.
Wenn nicht geglaubt wird Eigentum entstünde aus Arbeit (oder ähnlichem, siehe z.B. Eigentumstheorie von Locke), sondern Eigentum als ein Recht begriffen wird, dann braucht es auch eine Jurisdiktion, innerhalb der ein solches Recht durchsetzbar ist. Ein nachstaatliches Eigentum kann ich mir deshalb schwer vorstellen, was allerdings noch nichts heißen muss. Nicht auszuschließen, dass sämtliche oder Teile derjenigen Funktionen, die die zivile und fiskalische Infrastruktur derzeit übernehmen und damit u.a. (wirtschaftlich wirksames und nicht bloß rein theoretisches) Eigentum hervor bringen, zukünftig anderweitig erfüllt werden könnten. Mglw. auf Arten und Weisen, die weder Du noch ich derzeit für denkbar oder möglich halten, mglw. spielt das was aktuell noch Cryptocurrencies genannt wird dabei eine Rolle (demnächst hoffe ich auf grünes Licht dem Forum meine DA dazu zur Verfügung stellen zu können, bitte noch um etwas Geduld).
Dass auch ein reiner Nachtwächterstaat letztlich zwangsläufig nur
noch
die wachsenden Eigentumspositionen einer immer kleiner werdenden Clique
verteidigt, ist nur demjenigen unklar, der noch nie Monopoly gespielt
hat
(falls nicht dauerhaft Wirtschaftswachstum > Eigentumsrendite).
Ich habe schon lange nicht mehr Monopoly gespielt und kann mich gerade
nicht mehr an die Regeln der Geldschöpfung erinnern.
Das Geld wird einfach netto ausgegeben und zwar von einer Institution, die sich "Bank" im Spiel nennt, alledings vielmehr einen Staat verkörpert und unter anderem auch die Eigentumstitel repräsentierenden Straßenkärtchen verteilt (der Besitz wird durch die Spielfigur angezeigt).
Für mich ist die
Frage nicht geklärt, was genau Vermögenskonzentration in den Händen
weniger herbeiführt
Grenzwertig unkorrekt vereinfacht wäre es wohl dieser Zusammenhang:
Eigentumsrendite_Eigentümer_X > Wirtschaftswachstum (Eigentumspreiswachstum insgesamt) --> Vermögenskonzentration
[Ich glaube etwas ähnlich Vereinfachtes machte letztes Jahr in Form von Pikettys Buch die Runde, ich gebe allerdings zu mich mit diesem Buch nicht weiter beschäftigt zu haben, nachdem mir klar wurde, dass Piketty den Unterschied von Besitz und Eigentum noch nicht berücksichtigt hat.]
und wieviel Macht die Figur des gutmeinenden
umverteilenden Enteigners haben sollte
Ganz dringend und unbedingt so wenig wie möglich!!!
(aber eben auch unbedingt so viel wie nötig..!)
, der unter dem Namen "Staat" nicht
gerade einen makellosen Track Reckord in puncto Humanität hat.
Hell, no!
Gibt es
eigentlich ein globales Ranking i.S. Massenmord und an welcher Stelle
taucht der erste Konzern auf?
Nicht auszuschließen, dass die katholische Kirche in dieser Liste recht gut platziert wäre. Gilt dieses Gebilde als Staat oder als Konzern?
Falls mir soviel Flapsigkeit erlaubt ist: Anarcho-Kapitalismus ist ein
Oxymoron. Ein reiner Nachtwächterstaat immer noch eine Dummheit.
Wieviel mehr als Schutz von Eigentum wäre denn klug?
Schutz von Eigentum ist zwingend nötig um eine Privatwirtschaft zu haben und letztlich ist es auch das Eigentum als privates Recht, das die Macht des prinzipiellen Machtmonopolisten Staat einschränkt.
Eigentum ist gewissermaßen ein entsprechender Anteil an eben jener Staatsmacht und dieser Anteil wird dem Privaten von der Öffentlichkeit garantiert.
Durch das Eigentum wird der einzelne Private vor staatlicher und sonstiger Willkür geschützt. Wächst das Eigentum eines Einzelnen, so wächst in diesem Sinne auch sein Anteil an der Staatsmacht.
Gegen wachsendes Eigentum ist überhaupt nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil.
Gleichzeitig ist der Schutz der Gesamtheit der Privaten durch die Öffentlichkeit vor einem einzelnen Eigentümer, der "zu viel" (in extremo: sämtliches) Eigentum auf sich vereint dringend nötig um nicht schleichend und ganz automatisch als Gesellschaft einer Art Refeudalisierung zu unterliegen, denn riesiges Eigentum repräsentiert einen riesigen Anteil an der Staatsmacht, welche so in privaten Händen liegt. Ab wann Eigentumspositionen "Riesig" werden kann ganz sicher niemals in absoluten Zahlen ausgedrückt werden und auch bei relativen Zahlen (relativ zu den Eigentumspositionen der Hälfte mit den geringsten Eigentumspositionen zum Beispiel) möchte ich mich an der Stelle zurückhalten, weil ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht habe.
Dennoch weiß ich manchmal nicht genau über welche Gruppe ich mich mehr wundern soll:
über diejenigen, die die automatische und zunehmende Eigentumskonzentration wahrnehmen und in ihrem Eifer (gerne auch über Hintertüren wie "Staatsgeld" etc.) das Eigentum in seiner wirtschaftlichen Wirkung abschaffen wollen
oder doch über diejenigen, die glauben Eigentum entstünde aus Arbeit (oder sonst irgendeiner Leistung eines Einzelnen) und die dem Eigentum inhärente Dynamik und Tendenz zu Konzentration als schon deshalb wenig beachtenswert einstufen, weil zu seiner Beeinflussung erstaunlicherweise genau auf diejenige Instanz eingewirkt werden müsste, die das Eigentum gerade hervorbringt.
Bzgl. Anomie: aus Sicht eines Anarchokapitalisten korrodiert staatlicher
Eingriff spontan entstehende Ordnungen und Nomoi (was Etatisten wiederum
motiviert selbst kreierte Probleme mit noch größerem Eifer zu "lösen").
Ja, genau die spontan entstehenden Ordnungen innerhalb der Eigentumsökonomie dadurch, dass jeder frei Verträge mit jedem anderen schließen kann (und das auch guten Gewissens tut, weil beide mit ihrem Eigentum haften können) würde ich gerne mindestens behalten - egal welche gesellschaftliche Ordnung, die ich heute noch nicht kenne und sonst in Frage kommen würde - sie sollte doch mindestens diese Art der spontanen und einfachen Beziehungen ermöglichen (für Luhmann ist es das "Vertrauen" in das Geld (Eigentumskind!), das die Komplexität reduziert).
Dass nun genau diese spontanen Ordnungen dadurch nicht mehr entstehen können, wenn entweder das Eigentum ganz wirkungslos oder abgeschafft wird
oder aber das Eigentum so hoch konzentriert ist, dass eben gerade nicht mehr alle am Wirtschaften teilnehmen können, ist für mich so klar wie Kloßbrühe.
Was ich manchmal amüsant, manchmal auch ermüdend finde, ist dass sich einigermaßen häufig zwei Lager geradezu 'bekämpfen' (meinetwegen "Marktfundis" einerseits und "Etatisten" andererseits), statt, dass durch angestrebten Verständniszuwachs versucht wird insgesamt zu besser informierten Entscheidungen zu gelangen.
Was genau ist Dir denn an der Unterscheidung zwischen Anarchie und Anomie
wichtig?
Für mich als Volllaie ist
Anarchie = Herrschaftslosigkeit
Anomie = Ordnungslosigkeit
und stehen für mich für zwei völlig unterschiedliche Zustände.
LG
Fabio
Beste Grüße
--
BillHicks
..realized that all matter is merely energy condensed to a slow vibration – that we are all one consciousness experiencing itself subjectively. There's no such thing as death, life is only a dream, and we're the imagination of ourselves.