Derivatepyramide
Hallo Bernadette Lauert,
Ich bin ungefähr so "marktfeindlich" wie Dirk Müller, was
Spekulationegeschäfte angeht. Also nicht alles beklatschend,
sondern teilweise
begründet skeptisch.
Das ist genau die richtige Haltung.
Mich würde interessieren, warum die Derivatepyramide "nicht so schlimm"
ist.
Mir ist schon klar, dass hier Geschäfte und Absicherungsgeschäfte
gegenüberstehen. Aber dennoch sagen viele Stimmen aus dem Markt, dass so
aufschaukelnde Effekte wie 2008 in dem Spiel an vielen Ecken und Enden
vorkommen können. Beispielsweise bei Kreditausfallversicherungen, woran
die AIG pleite ging. Hast Du ggf. Links zu weiterführenden Infos?
ich habe zu diesem Themenkreis, auch zu AIG früher eine Menge im Gelben Forum geschrieben.
Der Fall AIG war deswegen besonders, weil AIG eine riesige spekulative Position innehatte. AIG hatte in einem Riesenumfang "protection" verkauft (gegen Prämienerhalt Ausfall versichert) aber auf der anderen Seite keine Protection gekauft.
Als das Prämienniveau krisenbedingt anstieg, waren die Versicherung der AIG-Kontrahenten plötzlich viel mehr wert. AIG musste Nachschuss leisten und war dazu hinterher nicht mehr in der Lage. Es waren also nicht Ausfälle, die die Zahlungsverpflichtung begründet hatten.
Mit dem Ausfall von AIG waren die Kontrahenten von AIG gezwungen, sich die Versicherungen von anderer Stelle zu besorgen. Dass diese mittlerweile teurer geworden waren, war nicht schlimm. Bisher hatten die Nachschussleistungen von AIG genau das abgedeckt.
Nur mussten die Kontrahenten von AIG alle zeitgleich Versicherungen einkaufen gehen. Das wurde ein teures Vergnügen, in der Branche wird das sachlich mit "replacement risk" beschrieben.
AIG war ein riesiger Risikonehmer. Wenn Risikonehmer ausfallen, gibt es immer Verwerfungen.
Lehman war kein Risikonehmer, sondern eher Durchleitungsstation.
Damit war der Ausfall von Lehmann bedeutungsarm in seinen Auswirkungen auf die Märkte im Gegensatz zu AIG. Die Pleite von Lehman hatte mehr psychologische Auswirkungen.
Auch bei Lehmann waren die Kontrahenten gezwungen, ihre kaputtgegangenen Geschäfte zu ersetzen.
Vereinfacht ausgedrückt war es so:
Für jedes kaputte Geschäft gab es bei Lehmann noch ein spiegelbildliches Geschäft in umgekehrter Richtung, dass ebenfalls "kaputt" war.
Das bedeutete, dass nun zwei Kontrahenten mit entgegengesetzten Interessen sich nur irgendwo auf den Märkten finden mussten, bzw. dass deren Verhalten Finanzmarktpreise netto weder steigen noch fallen ließ.
Bei AIG war das anders. Da fehlte die zweite Seite.
Irgendwie hat die Aufsicht diese Risikokonzentration bei AIG übersehen oder ignoriert.
Aber mit dem heutigen zentralen Clearing soll ja alles besser werden.
AIG spielen mit Hausmitteln ist übrigens ganz einfach:
ACHTUNG: DAS FOLGENDE BEISPIEL IST NICHT ZUR NACHAHMUNG EMPFOHLEN!
Du verkaufst eine große Zahl von Put-Optionen auf den DAX mit Basispreis 6000 und freust Dich über die erhaltene Prämie.
Dann fällt der DAX. Deine Optionen werden für Deinen Kontrahenten immer wertvoller, obwohl der Dax noch weit über 6000 ist. Deine Optionen sind also noch nicht "im Geld". Der Wertanstieg der optionen, die Du schuldest (Du bist Leerverkäufer!) erzwingt Nachschusszahlungen von Dir.
Eventuell bist Du schon pleite, bevor der Dax die 6000 unterschreitet.
Gruß
paranoia
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Ich sage "Ja!" zu Alkohol und Hunden.