Diebstahlsversicherung in Warenhaeusern? Versicherung gegen Inventurabweichungen? Der Schaden ist groesser, als man denkt ...
Wir hatten neulich eine Diskussion zu der Frage, ob die angeblich von gewissen auslaendischen Fachkraeften praktizierte Selbstbedienung "anstandslos" von einer Versicherung gedeckt sei und daher einem bestohlenen Ladengeschaeft kein (materieller) Schaden durch sog. Ladendiebstaehle entsteht.
Ich gehe darauf etwas genauer ein, weil ich einerseits dazu eine Leseranfrage hatte, ich andererseits aber auch weiss, dass unter Jugendlichen oft die Meinung herrscht, "das macht dem Unternehmen doch gar nichts aus – die haben eh eine Versicherung". Haeufig lassen sich durch dieses "Argument" auch Jugendliche zum Ladendiebstahl als Mutprobe "motivieren", die es ansonsten nicht taeten.
Die weiterreichenden Folgen davon, wenn man ausgerechnet beim "ersten und einzigen Mal" erwischt wird, sind trotzdem oft schmerzlich.
Haben Ladengeschaefte ueberhaupt eine "Diebstahlsversicherung"? Der Klau-Multiplikator
Machen wir mal ein Gedanken-Experiment. Das meiste in der Wirtschaftswissenschaft kann man sich durch Gedankenarbeit erschliessen, indem man sich fragt, was passierte, wenn das Gegenteil eines postulierten "Gesetzes" wahr waere.
Nehmen wir an, ein Ladengeschaeft haette eine solche "Diebstahlversicherung". Nehmen wir an, der Jahresumsatz laege bei 10 Millionen Euro. Sagen wir, drei Prozent des Jahresumsatzes wuerden jaehrlich gestohlen. Das waeren dann 300.000 Euro.
Wenn eine Versicherung keinen Verlust machen wollte, muesste sie also bestimmt mindestens 300.000 Euro Jahrespraemie in Rechnung stellen, nicht wahr? Nehmen wir an, die Versicherung ersetzte einfach "jeden" Diebstahl. Dann wuerden es irgendwann 400.000, dann 500.000, irgendwann wuerde der gesamte 10-Millionen-Umsatz geklaut. Ja, irgendwann waere der Umsatz gar 20 Millionen, Tendenz steigend – nur: es waeren keine Verkaeufe (mehr).
Reziprok muesste aber auch die Versicherungspraemie steigen, oder nicht? Nun, nehmen wir an, das Unternehmen bezahlt die urspr. 300.000 Praemie aus dem Rohgewinn von, sagen wir, 600.000. Steigt der Klau-Anteil auf 600.000 wird es bestimmt schon schwierig. Jedenfalls, ganz abstrakt formuliert: je eher eine Versicherung alles ersetzt, desto eher wird die Versicherung unbezahlbar. Entweder das versicherte Unternehmen geht pleite oder der Versicherer.
So kann das ganze also eher nicht funktionieren!?
Die Inventurabweichungsversicherung – moeglichst ohne Diebstaehle!
Daher ist das mit der Versicherung von Diebstaehlen auch eher ein Geruecht. Eine Versicherung gegen Diebstaehle ohne zugehoerige Einbruchshandlung gibt es i.d.R. nicht.
Auch im Privathaushalt, also bei der Hausratversicherung zahlt diese Versicherung nicht fuer Diebstaehle aus dem offenen Haus. Was schmerzlich ist, wenn ein Einbruch nicht nachgewiesen werden kann, etwa, wenn der Dieb/Einbrecher einen Nachschluessel benutzt hat.
[Exkurs: wenn man einen Diebstahl bemerkt, der trotz abgeschlossener Eingangstueren und geschlossener Fenster ohne Einbruchsspuren erfolgt ist, so ist das Schloss auf Werkzeugspuren gutachterlich zu untersuchen. Es gibt neben dem echten Nachschluessel, der natuerlich keine vom eigenen Schluessel zu unterscheidende Kratzspuren im Schloss hinterlaesst, noch Werkzeuge und Methoden, um Sicherheitsschloesser zu oeffnen, die ohne Schluessel auskommen, aber i.d.R. einige mittels mikroskopischer Untersuchung nachzuweisende Schleifspuren hinterlassen. Allerdings bemerken die Eigentuemer i.d.R. solche "Einbrueche" zu spaet und haben dann die restlichen Spuren in ihrer Wohnung bereits unrettbar verwischt, die ansonsten im ersten Zugriff zu sichern gewesen waeren.]
Aehnlich wie beim Einbruch im offenen Haus oder mittels "spurlosem" Nachschluessel ist es auch beim Ladendiebstahl. Das zu stehlende Gut liegt in einem (Selbstbedienungs-) Ladengeschaeft ja offen herum. Erst hinter der Kasse, wenn nicht bezahlt wurde, ist der Diebstahl als Tat strafrechtlich vollendet. Davor gibt es nur Verdachtsmomente, etwa, wenn jemand teure Rasierklingen in die Hosentasche steckt. Aber er koennte sie immer noch an der Kasse wieder herausnehmen und auf's Band legen und bezahlen.
Da aber Inventurdifferenzen viele Ursachen haben koennen, etwa Zaehlfehler, Minderlieferungen (Packung/Palette war nicht voll befuellt), Diebstaehle eigener Angestellter, auch schlicht am falschen Platz abgestellte und z.T. erst nach Jahren wiederentdeckte (!) Ware, ist eine Inventur-Differenzversicherung sehr schwer darstellbar.
Als Diebstahl-Versicherung fuer Fremd-Diebstaehle existiert sie eigentlich gar nicht.
Und als Vertrauensschadensversicherung (= Versicherung gegen den Missbrauch durch eigene Bedienstete, denen man vertraut hat) leidet sie unter dem Nachweisproblem, dass der Schaden tatsaechlich boeswillig von einem Angestellten verursacht wurde. Zaehlfehler und Verschlechterungen (Palette mit teuren Produkten wird versehentlich zu billig ausgezeichnet) koennen schwer versichert werden, denn jede solche Versicherung birgt die Gefahr in sich, der Nachlaessigkeit Vorschub zu leisten ("moral hazard").
Daher: der Ladendieb richtet in fast 100% aller Faelle einen Schaden an, den nicht eine Versicherung traegt, sondern das Unternehmen selbst – und damit am Ende die ehrlichen Kunden, denn, wie saemtliche Steuern, muessen auch Verluste am Ende auf die Preise insgesamt umgelegt werden.
Steuer und Diebstahl sind also auch hier in ihrer Wirkung nicht weit voneinander entfernt.
Versicherung gegen Inventurdifferenz: "Die DBV-Winterthur Versicherungen AG hat als erste Versicherung erkannt, dass es sinnvoll sein kann, Inventurdifferenz abzudecken. Seit vier Monaten können Unternehmen eine Inventurdifferenzversicherung (IDV) abschließen, müssen aber im Gegenzug genau festgelegte Sicherheitsstandards einhalten." (TextilWirtschaft 16 vom 19.04.2001 Seite 056),
aber:
Zitat: "Der inzwischen von der Axa geschluckte Versicherer DBV-Winterthur habe um die Jahrtausendwende den Versuch gestartet, eine Inventurdifferenz-Versicherung zu entwickeln, die Police [ist] aber gefloppt, ...
Deshalb haben Einzelhändler auch Probleme, die Schäden über Versicherungen abzuwickeln. Mit einer Vertrauensschadenversicherung können sie sich zwar gegen Diebstähle durch Mitarbeiter und über die Transportversicherung gegen Unterschlagungen von Lieferanten absichern. “Doch dazu müssen die Einzelhändler nachweisen, dass die Ware genau an diesen Stellen durch einen Versicherungsfall abhanden gekommen istâ€, sagt Jörg Bechert vom Versicherungsmakler Aon, Jauch & Hübener. Verluste durch Kundendiebstähle decken die Verträge meist gar nicht ab." (aus: Langfingern das Leben schwer machen – Versicherungsmonitor 24. Juni 2010)
Volkssport Ladendiebstahl: "Schätzungen über den Wert der gestohlenen Waren belaufen sich auf etwa ein bis 1,5 Prozent des Einzelhandelsumsatzes. Der Schaden reicht von einer Schwächung des Eigenkapitals und der Verminderung des Gewinns über eine betriebswirtschaftliche Krise eines Handelsunternehmens bis zu dessen Insolvenz ..."
Ein Inventurdifferenzen-Versicherung, die den Namen verdient, gibt es nur bei Spedition und Lagerei:
"Haftung bei verfügter Lagerung: ... für Güterschäden: DM 10 pro Kilogramm, maximal DM 10.000 je Schadensfall (bei Inventurdifferenz DM 50.000), ..." (Wikipedia: "Speditions-, Logistik- und Lagerversicherungsschein")
Bei der Differenzen-Ermittlung muessen bestimmte Verfahren eingehalten werden.
Der Diebstahl-Schaden ist wesentlich hoeher, als 'Normalbuerger' glaubt!
Wenn wir, wie im obigen Zitat angegeben, annehmen, dass Ladendiebstaehle im Durchschnitt ca. 1,5% des Umsatzes ausmachen, dann rechnet der normale Kunde so:
"Umsatz 10 Millionen, 1,5% = 150.000 Euro – na ja, das kann der Unternehmer ja verkraften; bestimmt ist der Schaden noch kleiner, denn der Einkaufspreis war ja hoechstens 100.000 Euro."
Schoen waer's – die Sache hat einen gewaltigen Haken:
Diebstahlschaden und Umsatz-Rendite
Die Schaeden durch Eigentumsdelikte sind deutlich hoeher als der "gesunde Menschenverstand" schaetzt. Denn: die entgangenen 100.000 Euro muessen ja aus Gewinnen, nicht aus Umsaetzen ersetzt werden!!!
Beispiel mit durchaus realistischen Zahlen: "... die Umsatzrendite liegt bei Lebensmitteln im Schnitt bei einem Prozent ..." (FOCUS-MONEY | Nr. 7 - 2010).
Nur aus Grossbritannien wurden frueher (1996: 7 bis 8%) deutlich hoehere Zahlen berichtet.
Nehmen wir nun an, der o.g. Einzelhaendler hat einen Diebstahlsanteil von 1,5%, dabei bedeutet dies zu Einstandspreisen gestohlene 1% vom Umsatz, bei 10 Millionen Umsatz also 100.000 Euro "Verlust".
Frage: Wieviel Umsatz muss der Einzelhaendler machen, um diese gestohlenen 100.000 Euro wieder wettzumachen, d.h. netto hereinzuverdienen, nur um den Verlust auszugleichen?
Antwort: In dem o.g. Beispiel arbeitet der Einzelhaendler umsonst – nur fuer die klauenden Kunden, denn um aus Gewinnen (woraus sonst?) die Wiederbeschaffung der gestohlenen Ware im Werte von 100.000 Euro zu re-finanzieren muss er bei 1% Umsatzrendite ... genau 10 Millionen umsetzen ...
Wer also klaut, richtet deutlich mehr Schaden an, als ihm als Individualtaeter vielleicht bewusst war. Und den Schaden zahlt auch kein anderer fuer ihn, jedenfalls keine Versicherung! Am Ende zahlen es die anderen Kunden.
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Mit 40 DM pro Kopf begann die Marktwirtschaft, mit 400.000 Euro Schulden pro Kopf wird sie enden.
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