Ich kann nicht nur relativ, sondern auch ein bisschen absolut

trosinette, Freitag, 08.04.2016, 11:19 (vor 3227 Tagen) @ Zarathustra2718 Views
bearbeitet von unbekannt, Freitag, 08.04.2016, 14:33

Guten Tag,

Ja, eine derartige Relativiererei ist äußerst praktisch. Man muss dann
nie Stellung beziehen und kann immer nur mit den Schultern zucken, wenn es
Scheiße läuft und seine Hände immerdar in Unschuld waschen, á la "Bin
leider nur ein armer Tropf, der nichts weiß."

Dein Statement kann ich in diesem Zusammenhang auch nur relativ, aber nicht absolut nachvollziehen. Ist das die Vorhaltung eines Anarchisten gegenüber einem Luftikus, mit dem aufgrund seiner Positionslosigkeit kein Staat zu machen ist - wie man so schön sagt?

Im intellektuellen Diskurs keine klare Stellung zu beziehen halte ich, wie so viele andere Dinge die uns umtreiben, für relativ unwichtig. Es gibt ja genug Leute, die öffentlich klar Stellung beziehen - aus dieser klaren Stellung heraus, aber leider meist die Zivilisation vorantreiben.

Darüber hinaus dachte ich, dass eine Aussage wie „ich wasche meine Hände immerdar in Unschuld “ mit Blick auf deine grundsätzliche Haltung zur Schuldfrage nicht statthaft ist.

Im Gegensatz zum öffentlichen, intellektuellen Diskurs ist meine Stellung im System relativ klar. Diese Stellung lautet bekanntlich „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Es könnte natürlich noch weniger sein, allerdings kann ich mit Bartleby leider nicht ganz mithalten. Sich als armen Tropf auszugeben, gehört dabei zur strategisch-taktischen Grundausstattung. Fünf Minuten dumm stellen kann mir tagelange Arbeit und endloses Diskutieren ersparen.

Ich muss allerdings zugeben, dass meine Zurückhaltung in meiner systemischen Karriere weniger das Ergebnis meiner intellektuellen Geisteskraft ist, sondern vielmehr einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Sozialstörung geschuldet ist, die mir meine im II Weltkrieg vermutlich traumatisierte Mutter in frühester Kindheit mit auf den Weg gegeben hat. Debitismus und religiöses Blabla dienen mir dazu, meine „so viel wie nötig, so wenig wie möglich Stellung“ im System schön zu reden, was im Grunde auch ganz gut funktioniert.

Heute Morgen, während meines systemisch vollkommen sinnlosen Büro-Halbmarathons, war für mich die Welt mal wieder für 1:50 eine der besten überhaupt. Es ist schon eine unglaublich geile Einrichtung der Natur, sich aus sich selber heraus, egal ob zu Lande zu Wasser oder auf dem Rad, in Bewegung zu halten. Wie ein Wildpferd, das aus purer Lust in der Gegend rumhopst und die Hufe von sich wirft. Zu allem Überfluss bin ich Broeslers Hinweis gefolgt und hatte diesmal beim Laufen einen Sack voll Elektro-Swing auf dem MP3-Player dabei. Is aber nix für dich - indoktriniert einfach zu viel Lebensfreude und gute Laune.

Die ganzen motorisierten Mobilitäts-Junkies auf E- oder Benzinmotor haben nach meiner Meinung jegliche Vorstellung davon verloren, was ihnen in ihren beheizten Blech- oder Carbonschüsseln alles entgeht. Mir kann diese Form der technokratischen Mobilität, soweit es nur irgendwie möglich ist, absolut voll am Arsch lecken.

Ich hoffe, mich zumindest in dieser belanglosen Kleinigkeit klar in Stellung gebracht zu haben. Wobei ich absolut auf dem Standpunkt stehe, dass der Austausch belangloser persönlicher Kleinigkeiten wesentlich wertvoller ist, als ständig, als schwer zu widerlegender und klar positionierter, geistiger Superman am großen Weltrad zu drehen.

Jetzt schnipple ich mir zum Frühstück erst mal einen Rohkostsalat, dann mache ich vielleicht mal versehentlich Outlook auf und dann geht es ja auch schon bald wieder nach Hause. Während der letzten Abteilungsleiterklausur des Vereins, in dem ich „tätig“ bin, wurde allerdings die Devise ausgegeben „Komfortzonen aufbrechen“. Als ich davon Wind bekam, fühlte ich mich sofort angesprochen.

Mit freundlichen Grüßen
Schneider


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