Die entscheidende politische Grenze liegt heute nicht mehr zwischen armen und reichen Nationen

Kaltmeister ⌂, Freitag, 22.01.2016, 16:27 (vor 3037 Tagen) @ Spinocita7045 Views

Die Macht liegt bei den Finanzeliten in den reichen Ländern des Westens - das heißt nicht, dass sie bei den "Amerikanern" oder bei den "Europäern" liegt. Ich hatte vor ein paar Monaten ein Gespräch mit einer klugen Griechin: Meine Position zur Griechenlandkrise, vereinfacht gesagt: Geld, das man sich geliehen hat, muß man auch zurückzahlen. Ihre Position: Das sei angesichts der Schuldenmenge nicht möglich - und außerdem habe sie einen deutschen Politiker im Fernsehen gehört, der gesagt habe, Deutschland profitiere am meisten von der Europäischen Gemeinschaft. Deshalb solle es auf seine Forderungen verzichten.

Sehen wir mal ab von der ökonomischen Trivialität dieses Gedankenaustausches, so wird an dem Beispiel doch auch etwas deutlich: Dass wir als Deutsche mit Deutschland identifiziert werden (und uns auch selbst damit identifizieren). Tatsächlich gibt es aber zwei "Deutschlands", ebenso wie es zwei "Amerikas" gibt: Die Menschen in diesem Land auf der einen Seite, und die Wirtschaftseliten, den "Geldadel" auf der anderen. Man verbaut sich jeden Zugang zum Verständnis der Situation, wenn man beide gleichsetzt. Wenn, wie Buffet so treffend sagt, ein Krieg "arm" gegen "reich" tobt, dann liegt die Front zwischen den wenigen Superreichen in den USA, in England, in Deutschland oder Frankreich einerseits und dem Rest der Bevölkerung andererseits. Wir als deutsche Normalbürger sitzen also im selben Boot, wie die Bevölkerungen in Griechenland, Argentinien, Kolumbien usw. Der Unterschied ist vielleicht, daß unser Gemeinwesen - noch - etwas besser funktioniert; aber an der Nivellierung solcher Unterschiede wird gerade gearbeitet.

Diese Fehleinschätzung ist, was uns betrifft, vielleicht darauf zurückzuführen, daß viele sich eine gemeinschaftliche Organisation des Staates wünschen würden. Jeder nach seinen Fähigkeiten an seinem Platz, zur Erreichung gemeinschaftlicher Ziele. Doch, das ist aus der Sicht der Eliten eine antiquierte Auffassung: Der deutsche Geldadel fühlt sich der übrigen Bevölkerung überhaupt nicht mehr verbunden, er strebt vielmehr danach, eine Gemeinschaft mit dem Geldadel anderer westlicher Länder zu bilden. Seine Interessen stehen heute gegen unsere, wie früher die Interessen der einzelnen Nationen gegeneinander standen. Aus der Sicht Deiner südamerikanischen Gesprächspartner ist das vielleicht nicht nachvollziehbar, ebenso wie es für meine Griechin unverständlich war. Denn wenn deutsche Politiker oder Wirtschaftsvertreter Interessen vertreten, denkt man dort, dass das zwangsläufig auch unsere Interessen sein müssten.


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