Augen täuschen, Augen zeugen.....
Salut Fabio,
da hast Du einen wesentlichen Punkt gelassen an/ausgesprochen, scheint mir (hinsichtlich der Validität von Zeugenaussagen). Wo ist die Wahrheit im Auge des Betrachters? Was hat er wirklich selber gesehen? Man kann wohl wirklich nur das Eine tun, sich Augenzeugen (und Tätergeständnisse) und die Umstände ihrer Entstehung genauer anzuschauen.
Beim IMT in Nürnberg bemängelte die Verteidigung von Anfang an, dass Zeugenaussagen und Geständnisse nicht genauer überprüft wurden (s. die Protokolle vom IMT). Ähnliche Klagen gab es von Seiten der Verteidigung auch beim Frankfurter Auschwitzprozess (CM hatte mal dankenswerterweise einige Links dazu gebracht).
In dem Zusammenhang empfehlenswert erscheint mir übrigens das Buch „Die andere Seite im Auschwitzprozess“ von Hans Laternser, damals Verteidiger in Frankfurt. Seinen Gedankengängen zu folgen ist durchaus lohnenswert. http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Laternser
Insbesondere seine Fragen zu Absprachen der Zeugen vor dem Prozess (die Mehrheit kam ja aus Ostblockstaaten), zu Entschädigungszahlungen für diese Zeugen (die für damalige Verhältnisse immens hoch waren), zu Einflüssen, denen die Zeugen in Frankfurt ausgesetzt waren, die Frage zum Wert von Aussagen, die 20 Jahre nach der Tat gemacht wurden etc. galten damals als skandalös, sind aber m. E. berechtigt.
Jedenfalls schloss Dr. Laternser seine Ausführungen im Buch mit dem lapidaren Hinweis: „Sie (d.h. die ausländischen Zeugen) erschienen vor Gericht, machten ihre Angaben – deren Zustandekommen nicht nachprüfbar war – und reisten wieder ab. Für ihre Aussagen trugen sie keinerlei praktische Verantwortung“. (Laternser, Seite 81). Was korrekt ist, wenn man seine Feststellung mit den Protokollen, wie sie anteilig von Hermann Langbein veröffentlicht worden waren, vergleicht.
Es kam zwar vor, dass ein Zeuge für seine Aussagen zur Verantwortung gezogen wurde, allerdings nur, wenn er ein vorheriger Angehöriger von SS, Wehrmacht etc. war und seine Aussage den Verdacht erwecken konnte, dass er selber Dreck am Stecken hatte. Dass ein Zeuge aus dem Aus- oder Inland, welcher als ehemaliger Lagerinsasse mit seinen Aussagen die Angeklagten belastete, wegen einer Falschaussage belangt worden wäre, kam in Frankfurt nicht vor. Entsprechende Versuche von Herrn Laternser und seinen Kollegen der Verteidigung in diese Richtung wurden vom Gericht schnell unterbunden, was Dr. Laternser in seinem Buch wie erwähnt bemängelte.
Tatsache ist, dass man bis 1985 warten musste, um das erste „wirkliche“ Kreuzverhör von Augenzeugen von damals zu erleben. Das begab sich anlässlich des ersten Prozesses gegen Ernst Zündel in Toronto, Kanada. Dort wurde der Holocaustleugner Ernst Zündel zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wurde allerdings 1992 vom obersten Gerichtshof in Kanada freigesprochen. http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Z%C3%BCndel
Kurzer Einschub: Vielleicht hat es Kreuzverhöre von Zeugen schon beim Prozess gegen die SS Männer Dejaco/Ertl gegeben; dies waren die Baumeister der Krematorien in Auschwitz (in denen die Vergasungen stattfanden), die, in Österreich lebend, dort 1972 vor Gericht gestellt und für unschuldig befunden worden waren. Da sie (immerhin als Baumeister und für die Instandhaltung Verantwortlichen der Todesfabriken) trotzdem freigesprochen wurden, könnte man ja vermuten, dass Entlastendes zu ihnen von Zeugen vorgebracht worden war. http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Dejaco Leider lässt es sich nicht nachprüfen, denn die Akten zu diesem Prozess sind verschwunden. Felix Austria? Vielleicht.
Doch zurück zu Toronto: Der Verteidiger von Ernst Zündel war ein Mann namens Doug Christie, ein intelligenter Zeitgenosse. http://en.wikipedia.org/wiki/Doug_Christie_%28lawyer%29 Es gibt von ihm noch manch anschauenswerte Video auf YT. https://www.youtube.com/watch?v=GAQ_92wqV60 (Schön, wie sich hier beides zeigt - die Bigotterie der Gutmeinenden und die ersten Ansätze, Kategorisierungen vorzunehmen). Dr. Christie war es denn auch, der diese ersten wirklichen Kreuzverhöre von Augenzeugen von damals durchführte.
Übrigens waren bei diesem Prozess illustre Zeitgenossen dabei: Raul Hilberg, Autor vom Standardwerk der Holocaustforschung „Die Vernichtung der europäischen Juden“, Rudolf Vrba, Überlebender von Auschwitz (der auch schon in Frankfurt ausgesagt hatte), Thies Christophersen, als Wehrmachtssoldat in Auschwitz stationiert und später Holocaustleugner, ebenso wie Robert Faurisson, Vater des Revisionismus – sie waren alle dabei. Und wurden alle von Staatsanwaltschaft und/oder Verteidigung in die Mangel genommen.
Zwar 5000 Seiten lang, lohnt das Protokoll, welches in der Bibliothek der Universität Montreal einsehbar ist, die Lektüre. http://www.worldcat.org/title/between-her-majesty-the-queen-and-ernst-zundel-before-the...
Dies nur am Rande bzw. zur Ergänzung. Als kleines Schmankerl anbei der Anfang des Verhörs von Rudolf Vrba durch Doug Christie (ersterer musste im Verlaufe des Verhörs zugeben, dass Teile seiner Erinnerungen „Ich kann nicht vergeben“ über die Vorgänge in Auschwitz nur auf Hörensagen beruhten, während er sie im Buch als selbsterlebt dargestellt hatte bzw. einräumen, dass er sich „dichterische Freiheit“ herausgenommen hatte, damit ein junger Mensch (als Leser) die Situation von damals besser verstehen könne). Hier nun der Auszug des Beginns des Verhörs:
Q. Did you say things happened in the book that did not actually happen in fact?
A: I am not aware of that.
Q. Did you say things that you say that you saw in the book that you did not actually see?
A. The book is not a court case, and therefore in the book could be incorporated such parts of knowledge which are obtained from friends to whom I trusted. As you know, every art piece in literature is written by people who use not only their own eye witness abilities, but draw also on experience of others for one reason or another.
Q. Did you put in the book statements that you said you saw which you did not see?
A. I am not aware of that.
Q. So do I take it from your answer that when you say you saw something in the book, you actually did see it?
A. I will discuss with you the book on the literary afternoon at your disposal. At the moment I am not prepared to discuss this book unless the book has been read by the jury.
After this short exchange, the judge interrupts the examination in the following way:
THE COURT: Dr. Vrba, I am going to say this once and once only. You are here as a compellable witness. You are here to testify as a witness under oath. You are not here to give orders as to what this jury will do and what you will do or not do. You will answer counsel's questions unless I tell you not to. Do you understand?
THE WITNESS: Thank you very much.
THE COURT: You will do it.
THE WITNESS: Thank you very much. In that case, can I ask your permission, if I find the question unsuitable, if I should, can I take your advice?
THE COURT: If you find them unsuitable, you can say so. Hopefully you will say that shortly.
I don't propose that Mr. Christie's cross-examination is going to be interrupted by you taking a multitude of objections to his questions, however objectionable you may find those questions to be. In a democratic country you should know by now, and I am sure you do, that in a Court of law an accused person, regardless of who he or she is, is entitled to full answer and defence. That includes the right of cross-examination. Your evidence is tested in that way before the triers of fact, which is the jury.
If you take objection I will listen to the objection; if it contains merit, I will say so; if it does not, I will say so. I do not want Mr. Christie's cross-examination, however, to be unduly interrupted for no reason at all.
Do you understand?
THE WITNESS: Perfectly well.
Und kurz danach:
Q. So when you said you perceived things, or saw things in this book, you actually did see them with your own observations.
A. This is nowhere stated in the book that I actually saw them. In the book there are a number of things which I heard from my friend and I have included it in the book, because a book was not meant to be a testimony to the Court which I have to sing, but impressions which I collected from number of friends, some of whom are dead, for whom I wanted the voice to be heard even after their martyr's death.
Und noch ein bisschen später:
A: In other words, I used my licence of a poet, it is called licensia poetarium, to put in the book only those facts and events which will enable a young person to understand the general situation.
Ein Augenzeuge. Und er hat bestimmt etwas gesehen. Aber was? Was?? Das ist die Frage. Das Urteil indes steht schon fest. „Eine Lektüre, die ans Herz fasst“ (Susanne Meyer, Die Zeit).
Beste Grüße
K_v_S
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Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.
Karl Valentin