Leserzuschrift: Schäuble und Varoufakis: Mehr Harmonie hätte nicht sein dürfen - von melethron

Gaby, Freitag, 06.02.2015, 23:45 (vor 3963 Tagen)7098 Views

Hallo Zusammen,

Ich hab mir die Schäuble-Varoufakis Pressekonferenz angeschaut. Gaby hat vollkommen Recht! Die sind sich erstaunlich einig. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass Schäuble so weit zurückrudert wie es ihm überhaupt nur möglich war ohne seine Glaubwürdigkeit zu schädigen.

Hier mal der Versuch einer Detailanalyse der Aussagen (und Körpersprache). Ich hab zwar irgendwann mal ein Buch über Körpersprache gelesen, aber ich bin da aber weder Experte noch versierter Laie. Im Gegenteil ich schätze mich selbst sogar als schlecht ein im Körpersprache lesen. Ich denke aber, dass ein paar Ausdrücke SO dermaßen deutlich sind, dass selbst ich sie richtig deuten kann (lasse mich aber gerne eines besseren belehren und würde mich über Kritik freuen).


Ab 20:41 sagt Schäuble: "nicht überzeugend gewesen" anstatt "nicht zu erwarten gewesen". Er verweist somit nicht auf seine Position, sondern nur auf seine Glaubwürdigkeit!

Bei 23:18 kratzt er sich am Hinterkopf, was ein Zeichen für Unsicherheit sein kann. Prinzipiell könnte es ihn auch einfach nur jucken, aber er versucht zu gleichen Zeit durch sein "aufbäumen" und die Betonung seiner Aussage Gewicht zu verleihen. Diese Kombination aus Nachdrücklichkeit UND Kratzen ist ein deutlicher Hinweis, dass er selber nicht glaubt was er sagt.

Bei 28:58 habe ich den sehr subjektiven (!) Eindruck, dass Schäuble mit ganz anderen Erwartungen (Stichwort: Linkspopulist) in das Gespräch ging und vermutlich Varoufakis seinen Kritikpunkten gar nicht widersprochen hat. Er wirkt da fast schon erleichert und denke er wurde unglaublich positiv überrascht.

Ab 29:46 Sehr subjektiver Eindruck (aber wenn ich richtig liege, ist es eigentlich ein ziemliches Eingeständnis): Ein seit Jahren amtierender Finanzminister sagt über den gerade ins Amt gekommenen Finanzminister: "...er - im Gegensatz zu mir - ein erfahrener Ökonom ist...". Das könnte natürlich auch nur eine Floskel, der Punkt ist aber: Die Floskel passt nicht zur deutschen Haltung vor dem Gespräch. Ich halte die Aussage für authentisch und glaube das Schäuble von Varoufakis Kompetenz unglaublich positiv überrascht wurde!

Ab 30:38 "Was wir beide wahrscheinlich - so wir uns unterhalten haben - schnell miteinander zustande bringen können...". Also Uneinigkeit ist das nicht! Die einzige Diskrepanz, die es hier wohl gibt, ist die politische Erfahrung. Mein sehr subjektiver Eindruck: Der spricht wie ein von seinem Schüler begeisterter Mentor.

Ab 35:00 GAAAAANZ frei übesetzt: "Wir sind uns nicht einig, weil von uns erwartet wird, dass wir uns nicht einig sind." Mein Eindruck von seinem gequälten Blick ist, dass er sich mit dieser behaupteten Uneinigkeit total schwer tut. Er ist sich nicht ganz sicher, ob er nicht zu weit geht, wenn er sagt, dass sie sich eigentlich einig sind, aber fühlt sich eben aus innere Überzeugung verpflichtet die Wahrheit zu sagen.

Der Rest von Varoufakis ist dann abgelesen und ich es kam in meinen Augen eigentlich nichts wirklich Wichtiges oder Neues. Kleiner Seitenhieb noch gegen Schäubles "Wahlen-Zitat" bei 41:16 und ich (persölich) finde es interressant, dass er bei 41:38 Hegel und Kant, aber nicht Marx aufzählt. Auch erwähnenstwert finde ich, dass Varoufakis sich leichter tut, frei zu antworten, als seine Rede abzulesen.

Insgesamt hab ich ein ganz anderes Bild als es in der (deutschen) Presse rüber kam. Harmonischer wäre es nicht "überzeugend" gewesen.

Grüße
melethron

PS: Eingestellt von mir, weil er mir es geschickt hat. Sorry für den Footer, das ist natürlich meiner, nicht seiner

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"Das Dumme an Internetzitaten ist, dass man nie weiß, ob sie auch stimmen." Leonardo da Vinci


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