Eher notwendige Propaganda eines Herrschenden
Hi Nereus,
Deine Analyse der Situation (Krake vs Baer) finde ich erheblich besser. Der vorliegende Text von Sachartschenko hingegen ist eine typische TINA-Predigt, wie ihn jeder Herrscher/Fuehrer raushaut, um den Gefuehrten klarzumachen, warum ausgerechnet der eigene Kurs der einzige Weg nach Rom ist und alle anderen Alternativen ins Verderben fuehren. Kurzum: Propaganda. Sachartschenko, ein charismatischer Kerl, haette das sicher besser hinbekommen, wenn er sich mehr Muehe gegeben haette, aber vermutlich hat er andere Prioritaeten zu setzen.
Er schreibt u.a.: Ohne Betrachtung der geopolitischen Komplexität und
ihrer Feinheiten ist die Situation extrem überschaubar. Dies ist eine
Schlacht um den Kontinent, um das internationale System und um die eigene
Taiga [bezieht sich auf Putins Rede, indem er Rußland als Bär skizzierte,
der seine Taiga verteidigt, d. Ü.].
Den eigenen Kaempfern und Unterstuetzern wird vorgegaukelt, im Donbass stuende der Kontinent und das internationale System auf dem Spiel. Bigger than life, heroes!
Verzweifelt greifen sie uns an, sie wollen uns zügig vernichten.
Natuerlich wollen sie die aufstaendischen Truppen und deren politisches Konstrukt der 'Volksrepublik' vernichten, deshalb fuehren sie Krieg und nicht Verhandlungen.
Sie greifen auf alle verfügbaren Mittel zurück, abgesehen von einer
direkten militärischen Intervention auf russischem Territorium. Sie
vernichten Russen außerhalb ihrer Grenzen und züchten fremde Legionen, um
in das Land einzumarschieren. Der Westen beabsichtigt unsere Vernichtung,
um seine eigene Vernichtung abzuwenden.Genauso ist es!
Das ist voellig falsch. Der Westen beabsichtigt nicht die Vernichtung eines lokalen Aufstands, 'um seine eigene Vernichtung abzuwenden.' Bigger than life, heroes! Der Westen hat Probleme ganz anderer Groessenordnung.
Es wird zudem durch die Formulierung insinuiert, dass, der Westen in Russland einmarschieren moechte, indem er fremde Legionen zuechte, um in 'das Land' einzumarschieren. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmoeglich. Dennoch gibt es keinerlei Hinweise - weder aus der Gegenwart - noch aus der Vergangenheit, dass 'sie' dann etwa die Vernichtung alle Russen anstreben, 'unsere Vernichtung' bezieht sich vielmehr allein auf die Vernichtung der augenblicklichen politischen Machtelite, also einiger weniger Individuen, sei es im Donbass oder in Russland.
All das wird getan, um die Zerstörung Rußlands von innen heraus zu
erreichen. Aber genau das geschieht nicht. Alles zerschellt an der
Einheit der Regierung, die sich auf den Rückhalt ihres Volkes stützt, das
sich wiederum fühlt, als befinde es sich zusammen mit seinen Führern in
einer belagerten Festung.
Ja, es zerschellt am Rueckhalt aufgrund guter Propagandaarbeit in Russland, aber auch aufgrund von guter Politik (Niedrige Besteuerung der Bevoelkerung, Staatseinnahmen aus Rohstoffexport, erhebliche Verbesserung der Lebensverhaeltnisse im Vergleich zu Jelzin-Zeiten, die mit dem Westen assoziert werden). In der belagerten Festung jedoch befinden sich zuvorderst die Machteliten. Nur fuer die geht es um den Kopf, und um alles, was ihr Leben darstellt. Fuer die Beherrschten ist es weit weniger bedeutend, ob sie von lokalen Machteliten oder globalen Machteliten beherrscht werden.
Rußlands Kräfte reichen nicht für einen schnellen Sieg gegen die
konsolidierten westliche Kräfte, die trotz riesiger tönerner Füße nach
wie vor die dominierende Kraft der Welt sind. .. Ja, die Haltung der ewigen
Kritiker, die nach einer ›großen Lösung‹ der ukrainischen Frage rufen
und damit argumentieren, sie werde früher oder später ohnehin fällig,
mag angemessen und sogar anziehend sein, gerade für patriotisch gesinnte
Leute, die unter dem Anblick der toten Donbass-Bewohner leiden. Aber diese
Kritiker sehen nicht, daß sie mit ihrem Ruf nach einem finalen Schlag (am
besten hier und jetzt) ausgerechnet dem Westen helfen würden. Denn der
Kreml wäre gezwungen, dann zuzuschlagen, wo der Westen noch genug Kraft
hat.
..
Uebersetzt: Russland moechte nicht in einem Krieg in der Ukraine ausbluten, aber trotzdem die Ukraine nicht dem Westen ueberlassen. Inwiefern das fuer die Klientel von Sachartschenko ( die stattdessen ausbluten) eine gute Predigt ist, moechte ich lieber nicht beurteilen.
Russland ist nicht interessiert daran, Donetzk und Lugansk zu annektieren. Sie wollen die ukrainische Krise am Kochen halten (unter taetiger Mithilfe der Ukrainer, die das durchkreuzen koennten, wenn sie die aufstaendischen Regionen einfach abschreiben wuerden), bis mit der Zeit die Hauptukraine des Krieges, der Wirtschaftsmisere, den eigenen Oligarchen mit ihren Luegen und den westlichen Raubrittern muede wird, und sich einer neutralen Position mit Unterstuetzung von Russland oeffnet. Den Preis dafuer sollen diejenigen zahlen, an welche sich der Text von Sachartschenko richtet. Waere ich unter den Angesprochenen, wuerde ich mir sehr viele Fragen stellen.
Gruss,
mp
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