"Wir reden zuhause nicht ueber Politik" ...

CrisisMaven ⌂, Donnerstag, 22.01.2015, 12:31 (vor 3664 Tagen) @ nereus3989 Views
bearbeitet von unbekannt, Donnerstag, 22.01.2015, 14:03

Leider ist meine Stasi-Akte ja noch nicht aufgetaucht, die ich hatte, weil dem Schild und Schwert der Partei, Abt. Auslands-Aufklaerung unter dem Herrn Markus Wolff nicht ganz entgangen war, dass ich eine gewisse Rolle spielte, die auch DDR-intern gefaehrlich werden konnte - die Aufklaerung ueber Atomfragen.

Ich merkte davon nur etwas, wenn ich die DDR-Grenze uebertrat, z.B. um nach West-Berlin zu fahren bzw. kurz vor Jaruszelskis Putsch 1981, als ich dann bei der DDR-Einreise mit einem Solidarnosc-Hilfstransport nach Danzig von den VoPos zu einem freundlichen Gespraech mit einem MfS-Major (!) gebeten wurde. Wird ja nicht jedem zuteil, solch' "Ehre" ...

Ich merkte es z.B. auch bei Diskussionen mit der SDAJ -Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend, Unterorganisation der DDR-hoerigen DKP- wenn bei solchen Diskussionen mit mir dann ploetzlich Alt-Funktioniaere herbeitelefoniert wurden.

Insofern hatte ich darueber und ueber den Leipziger Buecherkatalog [[freude]] ein innig-distanziertes Verhaeltnis zu den Bruedern und Schwestern im Osten. Und habe dann versucht, nach der "Wende" mehr zu erfahren (daher diese kryptische Einleitung), da ich etwas auf die Unterschiede vorbereitet war und genau diese untersuchen wollte.

Und siehe da, es stellten sich mehrere Dinge heraus: schon 1990 sagte mir ein DDR-Zimmermann nach kurzem Gespraech "komm' doch zu uns, da gilt Wissen noch was!". Ich bin dem dann nachgegangen und es war tatsaechlich so - "drueben" wollten die Leute noch verstehen (Technisches, Geschichtliches), im Westen dagegen wollten die meisten immer schnell "alles vom Tisch" haben.

Aber eine Spaltung innerhalb der DDR-Gesellschaft geht meist voellig unter in allen Diskursen, die ich bisher dazu lesen konnte: die Rolle der (privaten) Bauernschaft. Von den DDR-Buergern, mit denen ich reden konnte, wurde unisono berichtet, die Bauern, z.B. auf der staedtischen Schule, aber als Bauernsoehne aus dem Umland, sonderten sich ab und wurden abgesondert. Der "Apparat" misstraute denen (zurecht), ab und zu wurden bei Razzien deren Kuehltruhen inspiziert und das subventioniert billige Brot beschlagnahmt und das ganze in der Presse (unter dem Beifall der Stadt-Bevoelkerung, die es nicht besser wusste) breitgetreten. Das Brot war fuer die Schweinemast, da es billiger war als das offiziell an private Bauern abgegebene Mast-Futter ...

Und ein Lehrer fragte dann mal einen Bauernsohn in einer Plauder-Schulstunde: "Und ueber welche politischen Probleme redet Ihr so zuhause?" Darauf der Bauernsohn: "zuhause reden wir nie ueber Politik".

Die Bauern haben, nachdem es in den Anfangsjahren (SBZ/DDR) bis nach der Entstalinisierung einige sehr unschoene Bauernverfolgungen gab, sich komplett abgekapselt und versucht "zu ueberwintern". Und diese Schweige-Manie scheint bis heute angehalten zu haben - die reden leider auch bis heute noch nicht drueber. Und die DDR-Stadtbevoelkerung scheint auch heute noch nicht im Bilde - es interessiert sie auch nicht; eher scheinen die DDR-Staedter das MfS-gesaete Misstrauen gegen die Bauernschaft in die neue Zeit "hinuebergerettet" zu haben. Was natuerlich auf die tatsaechlichen Verhaeltnisse in der Geschichtsschreibung der folgenden Jahrhunderte zu diesem Teil der DDR-Geschichte ein voellig schiefes Licht werfen wird.

Auch die MfS-Akten duerften bei dieser Umsicht [der Bauern] wesentlich magerer ausfallen (keine "Gummiohren" mit am Tisch ...) und da heutige Historiker vor allem aus dem Lehnstuhl heraus arbeiten, werden "wir" diese Seite der Wahrheit nie erfahren, die letzten Zeugen sterben langsam aus, die sie uns noch schildern koennten.

Vielleicht schreibt ja wenigstens hier mal einer ...

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Mit 40 DM pro Kopf begann die Marktwirtschaft, mit 400.000 Euro Schulden pro Kopf wird sie enden.
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