1. Versuch
Hallo Dieter!
Du schreibst: .. letzte Zeit frage ich mich immer wieder, welche Unterschiede es gab/gibt in Bezug auf demokr. Prozesse, Rechtsstaatlichkeit, Homogenität der Gesellschaft, Meinungsfreiheit, Zufriedenheit der Menschen oder andere für Euch wichtige Bereiche .. zwischen der jetzigen BRD und der damaligen DDR.
Ich wage mal einen Versuch.
Wenn Du die oben beschriebenen Punkte aufzählst, fehlt noch etwas in der gefühlten Lebenswirklichkeit – die soziale Sicherheit.
Die DDR war ein Staat in dem Ein-Parteien-System existierte (die Blockparteien spielten keine Rolle) und dessen Ideologie alle Lebensbereiche durchzog.
Das Hineinreichen der SED-Ideologie in den Alltag der Menschen war äußert nervig.
Die Menschen wichen dieser permanenten Nötigung im Allgemeinen durch eine schizophrene Gedankenwelt aus.
In der Öffentlichkeit gab man sich der Ideologie ohne Murren hin, wirkte aber auch nur bedingt mit, wenn es überhaupt nicht zu vermeiden war.
Hier waren die Grenzen fließend.
Wer vorwärts kommen wollte, mußte sich notwendigerweise etwas mehr engagieren, als der normale „Werktätige“ (Arbeitnehmer).
Dahinter stand jedoch nicht zwingend Überzeugung sondern einfach nur die Einsicht – ohne „Rotlichtbestrahlung“ geht es nicht weiter.
Im Privaten redete man zumeist Tacheles, versuchte sich aber abzusichern, ob nicht ein Gummiohr mit am Tisch saß â€“ was vermutlich ein sinnloses Unterfangen gewesen sein dürfte.
Mit diesem Wechsel zwischen Öffentlichkeit und Privatheit lernte man zu leben.
Es war nicht schön, aber es war auszuhalten.
Um sich zu legitimieren bzw. auch ihrer eigenen Ideologie zu folgen, sorgte die SED dafür, daß die Bevölkerung mit den grundlegenden Lebensnotwendigkeiten versorgt wurde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (zumeist politische Hintergründe) gab es keine Arbeitslosigkeit, jeder hatte eine Wohnung (wenn auch oft bescheiden) und gehungert werden mußte auch nicht.
Damit ging der Blick für die Realität ein wenig verloren, da man sich nun vorzugsweise auf das konzentrieren konnte, was fehlte und im Westen überreichlich vorhanden war.
Der gemeine DDR-Bürger baute sich daher eine Traumwelt auf in der er irgendwann zu leben hoffte. Nationale Gefühle (z.B. Wiedervereinigung, Rückkehr in verlorene Gebiete) spielten nur bei der Kriegsgeneration eine Rolle – der jungen Generation war das Wurst.
Gemeinsam lechzte man aber nach einem höheren Wohlstand (umfangreicheres Nahrungsangebot, Fernreisen, bessere Klamotten, höherwertige Technik usw.).
Meinungsfreiheit existierte nur privat – keineswegs öffentlich.
Eigentlich fast wie heute, denn im Gelben sind wir privat (obwohl wir alle wissen, das dies nicht stimmt) und diskutieren über fast alles. Öffentlich kann man sich zwar etwas weiter vorwagen als einstmals in der DDR aber wenn man an die SYSTEM-Grenzen stößt, wird man auch hier und heute umgehend kalt gestellt.
In der DDR saß man sozial auf sicherem Grund, wenn dieser auch nicht immer trocken war, aber die staatlich verordnete Gleichheit ermöglichte keine „Special Effekts“.
Das lähmte die Aktivitäten, die sich ausschließlich ins Private verlagerten, soweit möglich.
Rechtsstaatlichkeit war im Zivilbereich weitestgehend vorhanden, keineswegs in politischer Hinsicht.
Anwälte spielten, im Gegensatz zu heute, kaum eine Rolle.
Die Gesellschaft war deutlich homogener wegen des gewollten Einheitsbreis.
Ausländer gab es nur wenige (russische Besatzung, Polen, Vietnamesen, ein paar Schwarze). Ab und zu Streß gab es nur mit den Polen.
Insgesamt war die Gesellschaft straffer organisiert, was ich heute oftmals vermisse.
Das ist natürlich DIE Steilvorlage für @Zara, aber das kümmert mich nicht.
Das Sechsjährige erst gegen Mitternacht die Party verließen, erlebte ich erstmalig im Westen. Der Lehrer war prinzipiell eine Respektsperson, auch wenn es durchaus Ausnahmen gab. Die DDR hatte sich etwas länger preußische Tugenden bewahrt als der Westen.
In der DDR war Weichei out.
Man konnte zwar von der schmalen Hängematte profitieren, wurde aber andererseits genötigt dafür auch etwas zu tun.
Wichtig für eine Betrachtung der beiden Systeme sind darüber hinaus die erfolgten Veränderungen in den letzten 25 Jahren.
Der Westen von 1989 ist nicht mehr der Westen von 2015.
Die z.T. schroffen Gegensätze zwischen Ost und West gibt es heute nicht nur deshalb nicht mehr, weil die SED aufgehört hat zu existieren, sondern weil der Westen die politische Korrektheit vom Osten übernommen hat und letzte nationale Brandmauern eingerissen wurden, was bitte nicht mit völkischer Rassen-Ethik zu verwechseln ist.
Das die DDR unterging war folgerichtig.
Aber dieses Deutschland wird auch nicht mehr sehr lange bestehen, weil die politische Führung im gleichen Traumland lebt bzw. korrumpiert wird, wie einst die bösen Alten aus dem Politbüro.
Und dieser drohende Untergang hat NICHT NUR debitistische Gründe wie mir wahrscheinlich gleich von einigen Neunmal-Klugen erläutert werden wird.
mfG
nereus