Es fehlt der gesellschaftliche Konsens
Aufgrund der sehr ausführlichen Beschreibung des Forschungsprojektes kann
man schließen, dass irgendeine BRD-Institution (oder ein Think Tank, eine
Stiftung etc.?) die Ursachen ergründen will, warum diverse
Persönlichkeitsstörungen in den letzten Jahren mit viraler
Geschwindigkeit sich in der Bevölkerung verbreiten - und welche Gefahren
von dieser Situation für die Gesellschaft ausgehen.
Während des gesamten 20. Jahrhunderts gab es einen gesellschaftlichen Konsens, dieser lautete: "Mehr produzieren!" Konservative und Kommunisten waren sich einig im Ziel ("Mehr produzieren"), aber uneinig über den Weg zum Ziel und die Verteilung des produzierten Reichtums.
Heute gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens mehr. Es gibt keine gesellschaftliche Perspektive für die Arbeitslosen (Wo sollen sie arbeiten?), keine gesellschaftliche Perspektive für die Arbeitnehmer (Wofür sollen sie arbeiten?), keine gesellschaftliche Perspektive für die Einwanderer (Welche gesellschaftlichen Werte sollen sie übernehmen?) und demzufolge auch keine gesellschaftliche Perspektive für die Politiker (Wofür sollen sie sich einsetzen?). Jeder, der kritisch über die Situation nachdenkt, muss irgendwie langsam verzweifeln.
Während des gesamten Mittelalters bis zur Reformation gab es in Europa einen gesellschaftlichen Konsens, der auf Gott und die Kirche ausgerichtet war. Dieser gesellschaftliche Konsens wurde im Rahmen der Reformation zerstört und durch einen religiösen (und später auch politischen und wirtschaftlichen) Individualismus ersetzt. Das "Streben nach Eigentum" (pursuit of property - ursprüngliche Präambel der amerikanischen Verfassung) wurde zum gesellschaftlichen Konsens der westlichen Welt. Bis in die 1990er Jahre hinein arbeiteten die Beschäftigten in Deutschland für Auto, Haus und sonstigen Schnickschnack. Mittlerweile sind die Löhne so stark gesunken, dass manche Beschäftigte praktisch nur fürs nackte Überleben arbeiten. Die Besserqualifizierten beziehen ihr Selbstbewusstsein aus dem Elend der Hartz-IV-Empfänger. Der heutige gesellschaftliche Konsens scheint zu sein, immer jemanden zu finden, auf den man herabblicken kann. Gleichzeitig wird in Sonntagsreden immer wieder der Aspekt der Gleichheit und Brüderlichkeit betont. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, dauerhaft im täglichen Leben gegen ihre eigenen Werte zu verstoßen, ohne dass die Seele psychischen Schaden erleidet. Entweder ändern sich die gesellschaftlichen Werte (z.B. durch Einführung des Islam als Staatsreligion) oder das gesellschaftliche Handeln (z.B. durch Grundeinkommen und damit verbundene Reform des Arbeitsmarktes hin zu mehr Flexibilität)