Als Fachkraft ein Dilettant, aber als Dilettant eine absolute Fachkraft!
Hola Foristas und Leser,
in letzter Zeit wabern mir immer wieder Gedanken rund um die
Weiterbildungs- und Zertifizierungsindustrie durch den Kopf.
Mir schon seit knapp 1,5 Jahren. Willkommen und Glückwunsch zum selbstständigen Denken
Seit mehr als 10 Jahren schießen "Bildungsinstitute" wie Pilze aus dem
Boden. Jede Anstalt bietet eigene Kurse und Zertifikate an, welche man -
natürlich - käuflich erwerben kann. Alle versprechen einen raschen
Aufstieg im Hamsterrad. Sie locken mit tollen Karrierechancen und bei
bestehen der Prüfung mit einem Hauch von "Selbstbestimmung und Freiheit".
Genau, ich bin schon 1996 darauf reingefallen. War damals Industriemeister und habe den Versprechungen der IHK geglaubt. Daraufhin eine Fortbildung zum Technischen Betriebswirt (IHK geprüft) gemacht. 2,5 Jahre bis zur Prüfung. Das Versprechen: Wir positionieren den Technischen Betriebswirt (TBW) als Mitarbeiter im mittleren Management mit sehr hohem Praxisbezug und setzen somit einen Gegenpol zum rein akademischen Dipl.-Wirtschaftsingenieur (FH).
Nun arbeite ich schon ein paar Jährchen und konnte bei einigen
Weiterbildungsjüngern beobachten, dass nach erfolgreich abgelegter
Prüfung und Übergabe des Zertifikats bzw. Diploms der Aufstieg ins
schneller drehende Hamsterrad verwehrt blieb.
Genau - liegt häufig auch darin begründet, daß am Bedarf vorbei zertifiziert wird. 1996 konnte keiner ahnen, wie weit sich das Studieren durchsetzen wird. Heute bekommst Du einen Dipl.-Wirtschaftsing. mit einem Einstiegsgehalt von 32k€ p.a.. Wer will da einen erfahrenen TBW einstellen, der mind. 50% teurer ist? In einer arbeitsteiligen Gesellschaft sind Erfahrung und Blick über den Tellerrand NICHT notwendig. Generalisten wie ein TBW, der Zusammenhänge technisch und betriebswirtschaftlich sieht und in sein Handeln einfügt sind kaum notwendig. Gefragt ist der Spezialist (oder besser: Fachidiot!), der keine Fragen stellt und sich das 3te Gangrad im Getriebe anschaut. Von der Gesamtfunktion des Getriebes und dem Einsatzzweck braucht er nichts wissen und die Klappspaten, die draussen unterwegs sind können auch mangels vernetzter und strukturierter Denkweise das Ganze gar nicht überblicken. Ist aber so gewollt. Komplexe Dinge sind out, Mitarbeiter, die komplex denken damit auch. Nicht mehr hart wie Kruppstahl, sondern weich wie China PVC.
Dieser ganze Weiterbildungsfirlefanz ist doch nur dazu gedacht, die
Menschen auf Linie zu halten und sie in der Illusion leben zu lassen: "Ich
kann alles schaffen, wenn ich nur Zertifikat/Diplom XY erlange! Und wenn es
nicht klappt liegt es an mir und nicht am System."
YES Sir that´s right! Es findet sich gerade im Umfeld mittleres Management offensichtlich immer eine Nutte, die mehr macht für weniger.
Am A****, letztlich zählt (hauptsächlich) Vitamin B, das Profil eines
Psychopathen gepaart mit der nötigen Portion Opportunismus und eine Prise
Glück um einen Kastenaufstieg zu bewerkstelligen. Wie krank ist eine
Gesellschaft, wenn man Karriere schon planen muss? Entweder man ist fähig
oder eben nicht...
So isses, wobei das Verhältnis Psychopath zu Opportunist von 10:90 bis 90:10 wechseln kann. Abhängig von den Vollpfosten im Personalwesen und dem psychischen Krankheitsbild der Geschäftsführung. Ich habe nie Wert auf eine Karriereplanung gelegt, warum auch? Meine Bildung ist so breit aufgestellt, dass ich im technischen Umfeld sehr, sehr vieles machen kann und das betriebswirtschaftl. Verständnis des Handelns klar auf Lösung ausgerichtet ist. Heute gehts aber um Probleme beseitigen (Neudeutsch: Aufgaben wegarbeiten), nicht um tragfähige Lösungen. In der Wirtschaft, der Politik, aller Orten.
Weiterhin ist mir aufgefallen, dass jede noch so kleine Prüfklitsche
häufig total sinnfreie Zertifikate ausstellt. So ein Beispiel ist
"berufundfamilie", es suggeriert der Arbeitgeber achtet auf ein
ausgeglichenes Berufs- und Privatleben. Man kann als AG damit schön
Werbung machen, ob's dann in der Wirklichkeit auch so aussieht steht auf
einem anderen Blatt.
Gibts nicht, nirgendwo! Am besten sind immer die Unternehmensleitlinien, 1) Der Mensch steht im Zentrum unseres Handelns. Das mag sein, aber leider nicht so, wie man im ersten Ansatz vermutet... Dieser Blödsinn ist schon so abgelutscht, das eine ausreichende Dosis davon nicht mal mehr Kotzreiz herbeiführt.
Ich könnte hier von meinen letzten beiden Arbeitgebern Beispiele anführen - mein Gott! Als Fachkraft ein Dilettant - aber als Dilettant eine absolute Fachkraft.
Mit diesem Zertifizierungswahnsinn wird ein ganzer Industriezweig
künstlich aufgebauscht und am Leben erhalten. Mittlerweile hängen an
diesem Zweig 10.000de Jobs. Jeder Arzt hat in seiner Praxis eine "DIN ISO
9001" hängen. Braucht er das? Sagt das etwas über seine Qualitäten als
Arzt aus?
Die QS und QM Zertifizierungen kann man an einem Nachmittag für 3.000.-€ kaufen, dafür brauchts nix, garnix!
Dieser Post soll als Diskussionsgrundlage dienen, wie seht ihr das?
Dazu noch ein kurzer Verweis auf die Seite, die sich mit den Zertifikaten rumschlägt - die PERSONALABTEILUNG
Was ich da in den letzten 12 Monaten an menschlichem Bodensatz hab kennenlernen dürfen und erlebt habe, reicht für mehr als ein Buch. Ich denke bei über 130 bis dato geschriebenen Bewerbungen kann man durchaus halbwegs repräsentativ bewerten. Ausgangslage sind Stellenangebote aus stepstone und arbeitsagentur:
5% reagieren auf eine Bewerbung NICHT
15% wickeln den Prozess (Bewerbung rein-Eingangsbestätigung-Zwischennachricht-Absage/Einladung) ordentlich ab
80% weisen eklatante Mängel in der Bearbeitung der o.g. Prozessschritte auf
Das sitzen Leute, die haben KEINERLEI Ahnung vom Arbeitsmarkt, keine Ahnung vom Berufsbild und keine Ahnung, was im geforderten Job an Fähigkeiten nötig ist. Aus meinem Erfahrungsschatz zudem keine Ahnung von einem strukturierten Prozess und dödeln vor sich hin. Diese Honks sollen dann am Ende aussieben, wer auf das Stellenprofil passt, welches Zertifikat nützlich oder Blödsinn ist. Mir ist es selbst nach über einem Jahr ein Rätsel, nach welchen Kriterien dort Entscheidungen gefällt werden und mir dämmert, was mit dem Fachkräftemangel gemeint ist. Früher, als Stift, waren die "Leute aus der Perso" immer ganz wichtige Halbgötter, heute würde die Aussage "abgrundtiefe Verachtung" alles nur sehr unzureichend beschreiben.
Der Hammer liegt gerade vor mir, gesucht wird ein Technischer Betriebswirt. Aufgabenstellung ist das Standardrepertoire des TBW. Die Vorraussetzung um TBW zu werden sind eine abgeschlossene Weiterbildung aus einem Beruf als staatl. geprüfter Techniker, Meister oder Ingenieur, sowie 5 Jahre Berufserfahrung in dem Business. Mithin ist ein fertiger TBW also etwa 30 Jahre alt, darunter kaum realisierbar. Die Idee, des TBW (siehe auch oben) ist, hochgradigen Praxisbezug mit dem Wissen um Technik und BWL zu kombinieren. Der Prüfungsausschussvorsitzende einer grossen IHK im Ruhrgebiet sagte mir einmal, ein TBW ist erst mit >35 Jahren brauchbar.
Jetzt kommts: Die suchen den TBW in der Rubrik YOUNG PROFESSIONALS! Also Menschen bis ~30 Jahre. Wasch mich, aber mach mich nicht nass!
Soviel Blödsinn aus einer Personalabteilung habe ich selten gelesen. Und das sind die Menschen, die am Ende über Wohl oder Wehe entscheiden und ein Bildungszertifikat richtig und karrierefördend einsetzen sollen?
Es ist unfassbar. Also Fazit: Der Arbeitsmarkt präsentiert sich wie Oma, die mit ihrem kaputten Auspuff am Auto zum Dachdecker fährt, weil der ja die Kupferdachrinnen montiert hat und sich mir Blech auskennt und der holt den Elektriker, damit er sich den lauten Auspuff anguckt, weil der kommt hinten raus und da sind Lichter. Die Diskussion mutet an wie zwei Blinde, die sich über Farbe streiten.
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Gruß
Der_Chris
Verhaltensregeln gegenüber deutschen Politkern:
*Verachten* Auslachen* Verhöhnen* Ignorieren*
Und niemals Aufmerksamkeit schenken!