Der Versuch, die Frage „UND DANN“ zu beantworten

Leserzuschrift, Freitag, 23.10.2015, 19:25 (vor 3256 Tagen) @ Ashitaka5088 Views

Hallo Ashitaka,

ich denke, dass die ganze Diskussion auf einer höheren Ebene geführt werden muss.

Die Seereiche der Venezianer; der Holländer, der Portugiesen und der Briten besaßen eine territoriale Grundlage. Da sie zum Teil aus kleinen, unscheinbaren Territorien bestanden, hätten sie in Konkurrenz mit den großen Landmächten ohne die hinzukommenden (Handels-)Flotten nur geringe Möglichkeiten der Entwicklung gehabt. Der Reichtum dieser drei Seemächte beruhte ja auf ihren (Handels-)Flotten, die die Handelsrouten mit ihren Waren, ihrem Kapital, ihren Informationen usw. kontrollierten, die also ein Instrument der finanziellen Prosperitätssicherung und des ökonomischen Mehrwertes waren – also der Beherrschung von Strömen.

Für das heutige Imperium kommt zusätzlich zur Beherrschung der obigen Ströme hinzu: Finanzindustrie, Informationstechnologie und Geheimdienste. Die Beraternetzwerke, in denen sich die wichtigsten Instanzen der Macht vereinen, sind zurzeit noch vorwiegend in der angelsächsischen Welt beheimatet, d.h., dass das amerikanische Machtzentrum nur noch teilweise territorial mit den Machtinstanzen vereint ist. Das muss aber in der Zukunft nicht mehr der Fall sein. Die drei letzten Ströme sind wegen der Digitalisierung unabhängig vom Territorium. Das zunehmende online-banking wird z.B. zur Schließung fast aller Bankfilialen führen.

Auf die Reiche an den großen Flüssen am Nil (Ägypten), an Euphrat und Tigris (Mesopotamien), am Jangtse und Gelben Fluss (China) folgten die, die sich um Binnenmeere bilden, z.B. das Römische Reich (Mittelmeer), Venedig (Adria), Schweden (Ostsee). Die Seemächte der Neuzeit breiten sich alle ozeanisch aus – sie hatten bestehende Ordnungen überwunden, indem sie territoriale Begrenzungen hinter sich ließen.

In der Gegenwart sehen wir den Aufstieg von Politikinstanzen, die nicht räumlich gebunden, weltweit handlungsfähig und kaum verwundbar, d.h. im Falle der Bedrohung sehr mobil sind. Ein Beispiel dafür ist greenpeace als staatenübergreifende Nichtregierungsorganisation. Wir müssen heute begreifen, dass das „Westfälischen System“ des Territorialstaates als Hülle der Politik überwunden wird: Grenzen, Recht, Sozialordnung, Sicherheitsdienste, Wohlstandssicherung, Verbrechensbekämpfung. Man kann das im Scheitern der amerikanischen – aber auch russischen – Afghanistan-Politik erkennen: der nichtterritoriale asymmetrische al-Qaida Gegner soll territorial bekämpft und besiegt werden – ein Widerspruch in sich! Das hat zum Umdenken in den zuständigen Beraternetzwerken geführt. Die (von der CIA gegründete und darum im Moment wenig bekämpfte) asymmetrische Terrororganisation IS soll sich in der Levante territorialisieren, damit sie territorial besser kontrolliert !
werden kann. Der Zynismus des Politischen, der eben grenzenlos, unfassbar und schwer zu akzeptieren ist, folgt halt der inneren unvermeidbaren Logik des debitistischen Ablaufes!

Vor 8mal“I see you in 25 years“(© by @Ashitaka) hat Napoleon in der Folge der Französischen Revolution, die das Ergebnis eines Staatsbankrotts (“les debt d´Etat sont enorme“ frz. FinMin. Jacques Hecker) war, das Heilige Römische Reich deutscher Nation mit der Kleinräumigkeit, der rechtlichen Beschränktheit und der Borniertheit seiner Fürstentümer beseitigt. Mit seinem Code Civil zerstörte er das Alte und schuf als bejubelter Befreier das Neue – das „Westfälische System“, das er so richtig ans Laufen brachte und dessen Ende wir jetzt allseits bestaunen können. Es geht also ein räumlich größerer und zeitlich viel längerer Zyklus von 200 Jahren zu Ende. Im Mittelalter bis in die Neuzeit unter Napoleon herrschen vorwiegend personengebundene Abhängigkeiten vom Adel vor. Danach lebten die Menschen als Souverän in territoriale Loyalitäten zum Staat. Das endet auch irgendwie – die neue Oberbürgermeisterin von Köln wird gerade von 20% der Wahlberechtigten gewählt.
Die Vereinigten Staaten werden das letzte territorial abgrenzbare Imperium sein, das, wenn es nicht implodiert, transformiert wird ja in „Was?“. Wie sieht das neue „Imperium“ aus.

Wie wird das wesentlich Neue, das entsteht, aussehen und ausgefüllt sein? Das hohle Geflecht allen Staatlichen ist nur noch ein inhaltleeres Gerüst, in dessen Inneren nur Entscheidungen umgesetzt werden, die anonyme Machthalter in entterritorialisierten Machtinstanzen eines Beraternetzwerkes gefällt haben. Es bestehen nur noch digitalisierte Kontakte der Machthalter zur Bevölkerung. Die souveränen Entscheidungen in den Gemeinden, Ländern, Parlamenten existieren nicht mehr. „Staatliche“ Aufgaben werden von „PSC“ – private state companies – übernommen und müssen sofort bezahlt werden. Gib es heute ja schon. Über allem thronen völlig unerkannt und unbekannt die Beraternetzwerke – vor allem die Schuldenverwalter –, aus deren inneren Kreisen nichts bekannt wird. Eine Ausnahme ist der Investmentbanker Rainer Voss, der in dem Film “ Der Banker – Master of the Universe“ erzählt, wie es im Inneren der Banken zur Zeit des Aufschwungs zuging, was in de!
n „Trading Rooms“ und bei den „Deal Makers“ passierte. Er schildert das geschlossene System der Banken und beschreibt die darin Agierenden. Damit wird die Frage „UND DANN?“ aus einem zurückliegenden Posting beantwortet mit „ Das ist im Wesentlichen völlig egal!“ – das Zentrum liegt in keinem lokalisierbaren Territorium mit einem festen Ort – es liegt überall und gleichzeitig nirgends.

Soviel ist mir gewiss: die Umstellung vom Alten zum unbekannten Neuen wird von Schweiß, Blut und Tränen begleitet sein.

Eben jene nostalgischen Erinnerungen, die wir angesichts der Burgen, Schlösser und den adligen Familien hegen und pflegen und in ihnen schwelgen, kommen auch in der Neuen Welt auf, wenn wir den untergegangenen ruhmreichen Errungenschaften des „Westfälischen Systems“ gedenken.

Ich habe den Eindruck, dass sich das Forum etwas entfernt hat von seinen aufklärerischen und Erkenntnis suchenden Absichten. Der Debitismus, der ja einige unumstößliche Tatsachen formuliert, ist m.E. eine Metatheorie, die das Ökonomische selbst zum Gegenstand der Untersuchung macht, ohne Handlungsanweisungen liefern zu können. @Ashitaka hat in

http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=255805

das Bild vom Ozean mit seinem Meeresspiegel und der Betrachtung von oben benutzt, um den Debitismus zu erklären. Das liegt auf der Linie der Metamathematik, die die Mathematik selbst zum Gegenstand der Forschung macht und die in den Sätzen der Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit von Kurt Gödel gipfelt, deren Beweise ich im Studium vor langer Zeit noch nachvollziehen konnte.

Wir sollten froh sein, dass das Alte zur Seite tritt und Platz macht für das Neue, das schon lange am Horizont erscheint mit einer größeren Ehrlichkeit und an dessen Ausgestaltung sich die User dieses Forums beteiligten sollten, um nicht in der biedermännischen Erinnerung an die Guten Alten Zeit zu versinken. Die Diskussion sollte auf der höheren Metaebene geführt werden jenseits der Frage, ob die Armee des Imperiums noch passende Reifen aufziehen kann – was ja belustigend sein mag – oder der Frage, wann die Bundeswehr ausrückt oder die SPD zur „Vernunft“ kommt. Das ist alles gewiss. Es zeigt sich schon in der Sprache: auf der Metaebene sprechen wir von Völkerwanderung und auf der unteren Ebene von Flüchtlingen, die versorgt (Nahrung, Unterkunft, usw., usf.) werden müssen. Dieses Denken in unterschiedlichen Ebenen fällt den Menschen sehr schwer. Darum verstehen viele Leute weder den Debitismus noch die heutige Zäsur.

Gruß

Johann


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