OT: Bericht von einer Baustelle in einem deutschen Nachbarland – und um wieviel die Produktivitaet moeglichst sinken muesste
... um "ertraeglich" zu werden. (Oder nicht ganz off-topic, denn es geht letztlich um Wirtschaft[lichkeit].)
Ich beobachte nun seit fast zwei Jahren beinahe taeglich eine Baustelle in einem europaeischen Lande, das nicht genannt sein soll, auch um keinen Verdacht zu erregen, man sei gewissen Nationalitaeten gegenueber ueberheblich oder "fremdenfeindlich" eingestellt. Die sind auch ganz nett zu mir.
Es ist ein reiner, ungeschminkter Tatsachenbericht. Aufgrund frueherer Bauerfahrungen gehe ich an Baustellen meist mit einem wachen Blick vorbei. Das kann man gar nicht verhindern. Ein Hundezuechter schaut auch jeden Hund, insbes. der Rassen(n), die er zuechtet, anders an, als jemand, der sich gar nicht fuer Haustiere interessiert. Aufgrund umfangreicher Erfahrungen in der Sanierung und Begutachtung von Bauschaeden (bauchemisch/bauphysikalisch) sehe ich auch meist, wo die spaeteren Maengel auftreten werden.
Aber diese Baustelle ist etwas ganz besonderes:
Es handelt sich zwar um (ca. fuenf?) Einfamilienhaeuser. Aber die werden gefoerdert aus EU-Mitteln. Man sollte daher, anders als bei Bauherren, die das erste- und einzigemal im Leben bauen, annehmen, da gebe es irgendeine zusaetzliche Aufsicht. Aber das ist wohl nicht der Fall.
Die Grundsteinlegung
Das ganze fing schon damit an, dass kurz nach dem Kauf wohl die Baubehoerde vor der Baugenehmigung eine Bodenuntersuchung zur Auflage machte. Jedenfalls kam ein Ingenieur vor knapp zwei Jahren, als der Frost aufgehoert hatte, und rammte mit einer Maschine systematisch Sonden in den Baugrund, etwa alle zwei Meter auf insges. schaetzungsweise 2.000 qm. Jeweils ca. fuenf Meter tief, mit umfangreichem Messprotokoll (was im Regen nicht einfach war).
Dann tat sich fast ein Jahr nichts – offenbar musste aufgrund der Erkenntnisse ueber den Baugrund neu geplant (und ggf. neu finanziert) werden. Bis hierhin kann das ueberall auf der Welt passieren.
Dann aber rueckten eines Tages zwei (!) Tieflader an und luden mittels eines Baggers, der ebenfalls auf einem dritten Tieflader angeliefert wurde und dann Monate im Einsatz sein sollte, Dutzende Beton-Rohrstuecke mit 2 bis 3 m Durchmesser ab. Ich dachte, es sollte nun eine Demonstrationsanlage fuer Imhoffs Stadtentwaesserung entstehen. Den Zweck einer solchen Menge Rohrsegmente (das halbe Grundstueck stand voll, mit Stapeln jeweils ca. 5 Segmente hoch!) erschloss sich mir nicht.
Aber bald: denn der Bagger buddelte ueberall Loecher, ca vier Meter tief und 4 x 4 Meter lang/breit, aus. Dort kamen dann jeweils ca. vier Segmente hinein, die dann mit Fertigbeton gefuellt wurden. Offenbar war aufgrd. der Baugrunduntersuchung festgestellt worden, dass "gewachsener" Boden erst in ca. 4 m Tiefe vorhanden sei.
Der Witz: diese Fundamentierung haette man auch ohne Rohre machen koennen – einfach quadratisch ausschachten, mit Fertigbeton verfuellen. Das haette den exakt selben Zweck erfuellt – eine Tiefgruendung fuer die spaeteren Fundamentbalken. Es haette aber nur schaetzungsweise ein Zehntel gekostet (!) – Kapitalkosten und Mietausfaelle durch Bauverzoegerung gar nicht eingerechnet.
Danach machten die Bauarbeiter noch ein paar malerisch schoene Kaesten oben drauf, da, wo spaeter die Betonbalken aufgelagert werden sollten. Auch das haette man sich sparen koennen – der Betonfuss haette einfach in einem Stueck bis zur Erdgleiche gegossen werden koennen.
Ergebnis: das Ganze dauerte fast ein halbes Jahr, obwohl es, vom Zweck her, auch in drei Wochen gegangen waere.
Fundamente, Bodenplatten und Rohre
Dann, nachdem das letzte Rohrsegment unsichtbar "versenkt" war (es kam noch ein dritter Tieflader mit weiteren Rohren, u.a. um zu Bruch gegangene zu ersetzen; so viele Rohre habe ich sonst nur bei Klaeranlagen-Anschluessen und im Roehrenfertigungswerk gesehen ...), wurden Fundamentbalken geliefert, d.h. es wurden armierte Betonbalken auf die tiefgegruendeten Fundamentpunkte aufgelegt. Aber damit nicht genug – obwohl man das vorher haette planen koennen ... wurden zusaetzlich zu den Betonfertigteilen einzelne Verbindungen in Ortbeton gegossen (was ja muehsame Schalarbeiten erfordert und lange nicht die Qualitaet wie Fertigbeton erreicht – jedenfalls schon gar nicht bei der Chaostruppe – s.u.).
Dann wurden innerhalb der Fundamente dicke Styroporplatten verlegt sowie Leerrohre fuer spaetere Installationen.
Dabei sah ich die Arbeiter (der Baggerfahrer schien gleichzeitig der Polier zu sein) oefter mit dem Plan hantieren und ihn unschluessig hin- und herwenden.
Notabene Bauherren: jeder Plan hat einen Nordpfeil. Wenn der Bauleiter den Plan unschluessig hin- und herdreht, ist Gefahr im Verzuge!
Jedenfalls kam eines Freitagnachmittags ein aelterer Mann, offenbar einer der Chefs der Baufirma und verteilte, so wahr ich hier schreibe!, Kopfnuesse an zwei erwachsene Mitarbeiter und wurde etwas laut ...
Worauf hin die Mannschaft bis Freitag abend Ueberstunden machte (normal gehen die freitags um 14:00 Uhr), Styroporplatten wieder herausriss und neue Leitungen verlegte (immer wieder ehrfuerchtig den Plan konsultierend).
Dann kam wieder Fertigbeton und die Bodenplatten wurden gegossen. Es liegen aber immer noch 200 m Rohr herum, von denen ich den Verdacht habe, sie koennten eigentlich unter die Bodenplatten gehoeren. Aber das werden wir bestimmt noch erfahren.
Mauerwerk – die Erste
Nun wurden die Bimsbetonsteine geliefert. Der Baggerfahrer und Polier wurde abgezogen, es verjuengte sich das Team noch weiter. Dann wurde gemauert. Es ging recht fix, bis dann so langsam wieder der Plan oefter konsultiert werden musste.
Dachstuhl
Eines Tages schaute ich aus dem Fenster, durch das beharrliche "Piep-piep" eines rueckwaertsfahrenden Tiefladers aufmerksam gemacht. Es war der komplette Dachstuhl. Nur ... er fuhr rueckwaerts und ... weg. Denn: wer auch immer ihn bestellt hatte – die Mauern waren ja noch gar nicht fertig. Diesmal kam schon gar keiner, um Kopfnuesse zu verteilen.
Mauerwerk – die Zweite
Tja, und darum habe ich mich dann entschlossen, das zu "posten":
Die Mauern waren letzte Woche bis auf die Glaettung der Ortgaenge an den Stirnseiten der Gebaeude und ein paar zu betonierende Ringanker eigentlich fertig.
Also, dachte ich, 'jetzt kann der Dachstuhl ja wieder kommen'.
Was aber stattdessen kam war ... ein allgemeines laengeres Palaver vor dem Bauplan. Offenbar bietet der nach ueber einem Jahr immer noch Ueberraschungen.
Und dann, ich traute meinen Augen nicht: kommt der eine Arbeiter mit der benzinbetriebenen Schneidfraese und trennt zwei Fenster aus der fertigen Mauer. "Oha, dachte ich, seltsame Methoden". Dann stellte ich fest: ueber dem einen Fenster verlief schon ein Ringanker, aber kein Sturz. Ueber dem andern gar kein Sturz, sondern Steine. Ich dachte mir, na das kann heiter werden – Fensterrahmen, die den Dachstuhl halten sollen. Mal gucken, wie das weitergeht.
Aha – so geht's weiter: heute haben sie mit der "Flex" auch noch den Ringanker ueber dem einen Fenster und den Steinverband ueber dem andern herausgetrennt. Dann sauber einen halben Steier herausgestemmt, als Auflager fuer die Stuerze. Morgen werden vermutlich die Stuerze betoniert ...
Nur: wie man einen aufgetrennten Ringanker "reparieren" will, das erschliesst sich mir noch nicht. Aber vielleicht erfahre ich es ja die naechsten Tage.
Vorlaeufige Bewertung und Schlussbetrachtung
Ausser in Deutschland und Schweiz wird ja auf der Welt eher selten ein Haus unterkellert, jedenfalls sind in Deutschland die Mehrzahl, in den meisten andern Laendern die Minderzahl der Haeuser unterkellert.
Dennoch, ich habe ja schon Fertigkeller "gestellt", d.h. aus Fertigelementen, geht das "in Deutschland" vielleicht so:
- Der "Vermesser" kommt und vermisst die Baustelle, das "Schnurgeruest" wird gestellt. Ein bis zwei Tage.
- Ein Bagger traegt den Mutterboden ab und hebt die Kellergrube aus – ein bis zwei Tage, selten mehr (bei einem Einfamilienhaus!).
- Die Fundamente werden gegraben und gegossen. Von mir aus eine Woche.
- Die Betonplatten werden gegossen. Ein paar Tage.
- Die Kellerwaende werden gestellt (Fertigwaende – ein Tag! Gemauerte/gegossene Waende: laenger, ein paar Wochen).
- Kellerwand aussen verputzt und feuchteisoliert (ab hier ueberschneiden sich die Ablaeufe mit den oberirdischen Baufortschritten, spaetestens nach Guss der Kellerdecken – eine weitere Woche, vielleicht zwei mit Ein- und Ausschalen).
Na ja, ich komme jedenfalls fuer ein unterkellertes Haus auf ein paar Wochen. Hier in diesem Nachbarlande hatten wir es ohne Unterkellerung mit einem Dreivierteljahr zu tun!
Dazu nochmal Monate fuer das erste (einzige) Stockwerk: das Erdgeschoss. Notabene: wir sind noch nicht mit dem Erdgeschoss (in einfachster Ausfuehrung!) fertig, ohne Unterkellerung – und es ist fast ein Jahr vergangen ...
Das haette in Deutschland vielleicht drei, vier Wochen gedauert, mit den hier verwendeten Grossbausteinen! Von mir aus zwei Monate. Alles in allem drei Monate ...
Nun harre ich des Tages, da der Dachstuhl wieder kommt. Seit heute fehlt ja wieder ein bedeutender Teil des Ringankers ...
So: normalerweise ist es einem als Auslaender nicht vergoennt, so lange so tiefe Einblicke zu nehmen. Das geht nur, wenn man sich zufaellig direkt daneben aufhaelt und auch noch das ganze Gelaende ueberblicken kann (und Vorerfahrung hat – der Nachbar, den ich drauf ansprach, meinte ja, das sei normal mit den Fenstern ...).
Was ich feststellen zu koennen meine, ist:
a) Ich habe noch nie eine solch unfachmaennisch betreute Baustelle gesehen (der Architekt war, soweit ich beobachten konnte, nur einmal da, wegen der eingangs genannten "Betonfuesse"). Einen Bauleiter i.e.S. habe ich ueberhaupt nie gesehen.
b) Das ist zwar die einzige Baustelle in jenem Lande, die ich je ueber laengere Zeit beobachten konnte – aber die Baufirma ist keine kleine Klitsche. Auch wenn ich da daher keine verlaessliche Statistik habe – fuer Deutschland habe ich sie – durch Arbeiten in Neubaugebieten mit hunderten Baustellen gleichzeitig und hunderten Firmen aller Gewerke. Durch Bausanierung im Altbaubestand. Durch Sanierungsprojekte von NATO-Wohnungen (da geht's ja immer gleich um hunderte "am Stueck").
So etwas wie hier ist mir noch nie begegnet.
Daraus schliesse ich daher doch, dass das vielleicht kein Einzelfall ist. Und es evtl. ein gewisses "Produktivitaets"-Gefaelle zwischen Deutschland/Schweiz und dem Ausland erklaert. Nicht nur in der Industrie. Auch die Landwirtschaft hier ist ist eigenartig. Pferde und Kuehe grasen auf Weiden mit Giftpflanzen ...
Zumal ich das nicht nur in Kontinental-Europa, sondern auch in Irland und England/Schottland gesehen habe, wo es zwar nicht so chaotisch zuging, aber dennoch "recht gemuetlich".
Auch war ich mal in Griechenland eingeladen. Und beging den Fehler, einen andern deutschen Gast der Familie zu fragen (wir sassen auf der Terasse des alten Bauernhauses): "Und was ist das fuer eine Ruine am andern Ende des Hofs?". Worauf der blass wurde, sich unsicher umsah, ob noch jemand mein Deutsch verstanden hatte und zischelte: "Bist Du verrueckt – das ist der Neubau!".
Nur mal so zum Gefaelle. Das muss man jetzt durch Importsteuern ausgleichen, dann werden unsere Bauarbeiter auch irgendwann nachtraeglich Fenster herausbrechen ... Ich freu' mich drauf. Bin ja eher Sanierungsspezialist ...
P.S.: Die Daemmung kommt erst noch - bisher ist alles nur eine 17,5cm Bimsbeton-Wand.
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