Was es mit den rauschenden Festen in der DDR so auf sich hat

Plancius, Montag, 04.11.2019, 21:00 (vor 1847 Tagen) @ b.o.bachter1035 Views

Was waren die Menschen doch damals ausgelassen. Was wurden überall für

rauschende Feste bis ins hinterste mecklenburgische Dorf hinein gefeiert.
Das ist genau das, was viele Ex-DDR Bürger an der heutigen Zeit vermissen
bzw. was ihnen als gute, alte Zeit rückblickend erscheint.

An dem Punkt bin ich hängen geblieben. Verschiedentlich vernimmt man,
dass es zwar in der DDR an allen Ecken fehlte, jedoch es dennoch
"irgendwie" behaglicher war - Zusammenhalt und so, der Eine war nicht dem
Anderen der Teufel usw.
Du benennst konkret rauschenden Feste, die wohl üblich waren und es jetzt
wohl nicht mehr sind.
Das kapierte ich noch nie. Was hindert denn den Ossi seither daran, solche
Feste zu feiern und Zusammenhalt zu praktizieren?
Und etwas grundsätzlicher zu den Festen gefragt: Waren diese nur auf dem
Land üblich oder auch in den Städten?
Diese Frage resultiert aus meinem Erleben, wonach es hier, also beim
Wessi, in den Städten das so nicht gibt, auf dem Land aber sehr wohl. Wenn
jemand beispielsweise aus der Landjugend oder von den Pfadfindern feiert,
dann ist das schon eine größere Nummer. Wobei, ich bin da raus, sich
dieses Brauchtum auf dem Rückzug befinden mag.

Hallo @b.o.bachter,

hier ein paar Anmerkungen zu Deiner Frage nach den ausschweifenden Festen in der DDR.

Selbstverständlich hast Du recht mit Deinem Einwand, dass heute kein Ossi daran gehindert wird, weiterhin seine Feste so ausgelassen wie seinerzeit in der DDR zu feiern. Die Antwort auf die Frage lässt sich wohl nur im Kontext zur damaligen Zeit und den herrschenden Verhältnissen erklären.

Die DDR war bekanntlich eine Zentralverwaltungs- und damit eine Mangelwirtschaft. Das erwirtschaftete Sozialprodukt wurde nicht nach den Kräften des Marktes verteilt, sondern die Partei legte fest, was produziert wurde und wie das Sozialprodukt verteilt wurde. In der DDR wurde viel von der zweiten Lohntüte gesprochen, die jedem Werktätigen zusätzlich zu seinem Lohn/Gehalt zufiel. Darin waren enthalten:

- subvetionierte Mieten
- billiges Brot
- billiger Strom
- billige Bahnfahrkarten
- usw. usf.

Als Bestandteil der zweiten Lohntüte kann man auch den sogenannten K&S-Fond (Kultur+Soziales) werten, den jeder Betrieb und viele gesellschaftliche Organisationen (DSF, FDGB) hatten. Der K&S-Fond wurde von den Betrieben genutzt, um Feste zu feiern, ohne dass die Teilnehmer hierfür einen finanziellen Obolus entrichten mussten. In jedem Betrieb gab es jährlich ein Betriebs- und ein Sportfest. Weiterhin konnte es noch ein Weihnachtsfest, ein Weihnachtsfest für die Kinder usw. geben. Jede Brigade veranstaltete weiterhin mindestens ein Brigadefest pro Jahr. Unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Anwesenheit von sowjetischen Soldaten, sowjetischer Patenbrigade) konnte man als Betrieb den K&S-Fond der DSF anzapfen und noch ein zusätzliches Fest feiern.

Je nach Feier- und Organisationslaune des Betriebsleiters bzw. seiner Chefsekretärin konnten die Werktätigen eine erkleckliche Anzahl an Festen pro Jahr feiern und dort kostenlos essen, trinken, tanzen und Spaß haben. In der Mehrzahl der Feste waren auch die Ehepartner eingeladen, z.T. auch die Kinder. Das stärkte natürlich den Zusammenhalt, weil die Kollegen auch die familiären Verhältnisse untereinander kannten und die sozialen Bindungen tiefer als die rein betriebliche Ebene gingen. Letzten Endes war jedoch die Feierei in der DDR eine Folge der Mangelwirtschaft und eine Art "Nudging" des Systems, das Verhalten der Bürger in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zu Essen und zu Trinken gab es schließlich auch genug in der Mangelwirtschaft und ein Kulturhaus oder einen größeren Saal gab es flächendeckend bis hinein ins hinterste mecklenburgische Dorf.

Heute sieht es leider gänzlich anders aus. In vielen Betrieben gibt es zwar auch pro Jahr ein Fest (Weihnachts-, Sommerfest oder so was ähnliches). Dabei sind jedoch die Ehepartner oder Kinder nicht mit dabei. Ich habe z.B. die Ehepartner meiner Kollegen und auch deren Kinder nie kennengelernt.

Betriebe sehen es heute auch nicht als ihre Aufgabe an, die Feierei ihrer Beschäftigten zu organisieren. Diese könnten es theoretisch selbst in die Hand nehmen bzw. Angebote zum Feiern gegen Zahlen eines kostendeckenden Entgelts zu nutzen, allerdings steht die Feierei heue in Konkurrenz zu vielen anderen Angeboten, die der Markt bietet. Und so kommt es eben zu einer starken Ausdifferenzierung der Gesellschaft, was jeder einzelne an Produkten und Dienstleistungen konsumiert. Es gibt kein "Nudging" des Staates hierzu und viele Feste pro Jahr aus der eigenen Tasche zu bezahlen ist den meisten Leuten einfach zu teuer.

Heute "nudgt" der Staat mit einer mehr als 50%igen Steuer- und Abgabenquote (auch eine Art zweite Lohntüte) andere Sachen. Z.B. werden Heerscharen an Migranten und Flüchtlingen auf diese Art alimentiert oder das Geld in der EU oder sonstwo in der Welt verschleudert.

Das waren nur meine zwei Cents zu Deiner Frage.

Gruß Plancius

--
Der Königsweg zu neuen Erkenntnissen ist nach wie vor der gesunde Menschenverstand.


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