Ausländer in der DDR - (1) Die Russen

Plancius, Samstag, 02.11.2019, 10:17 (vor 1847 Tagen)3174 Views

Den Ossis wird ja häufig nachgesagt, dass sie keine Erfahrung mit Ausländern haben und deshalb latent fremdenfeindlich sind und zu rechtsextremen Ansichten neigen. Wenn ich meine Zeit in der DDR in den 70er und 80er Jahren anschaue, bin ich als Kind und Jugendlicher häufig im Kontakt mit Ausländern gewesen. Nur haben diese kein Kopftuch getragen oder Allah angebetet. Genau diese Gruppe ist es nämlich, die vom Mainstream allgemein oder vom westdeutschen Gutmenschen unter dem Begriff „Ausländer“ subsumiert wird. Nur der islamische Ausländer auf deutschem Territorium ist ein wahrer Ausländer.

Bei einer Einwohnerschaft in der DDR von 16 Millionen vor der Wende haben mehr als 500.000 Sowjetsoldaten und deren Angehörige und weiterhin viele Tausende Gastarbeiter aus Vietnam, Angola, Mosambik, Kuba auf dem Territorium der DDR gelebt. Hinzu kommen Tausende ausländische Studenten und in der Erntesaison Tausende Erntehelfer, vor allem polnische Studenten. Da die Ausländer über die ganze DDR verteilt waren und nicht nur in den Grossstädten, hat der durchschnittliche DDR-Bürger wahrscheinlich eher Kontakt zu einem Ausländer gehabt als der durchschnittliche BRD-Bürger.

Ich möchte jetzt in einer kleinen Reihe meine persönlichen Erfahrungen als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener mit Ausländern in der DDR schildern.

Die Russen

Ich bin auf dem Lande in der Nähe von Mühlhausen/Thüringen aufgewachsen. In Mühlhausen befand sich ein sowjetisches Panzerregiment. Im nahegelegenen Hainich befand sich deren Truppenübungsplatz – der Kindel.

In meiner Kindheit sind die Sowjets häufig mit ihren Panzern, SIL-Lkws, SPWs und Haubitzen durch unseren Ort gefahren. Wir Jungens waren irgendwie immer von dem mächtigen und schweren militärischen Gerät fasziniert, das schwarze Russwolken hinter sich herziehend an uns vorbeifuhr. Häufig winkten wir den Soldaten zu. Einmal ist es sogar passiert, dass das Kanonenrohr eines Panzers die Wand eines Hauses durchstoßen hat und im Wohnzimmer einer Klassenkameradin steckte.

Während ihrer Übungen standen immer Streckenposten mit Stahlhelm und weissem Schultergurt an manchen Kreuzungen, um ggfs. den Verkehr zu regeln. Die Posten mussten dort viele Stunden ausharren. Sie hatten immer den ganzen Arm voller dicker, klobiger sowjetischer Uhren und boten diese zum Tausch oder Verkauf an. Als Jugendliche sind wir das häufig zu den Posten gegangen oder mit unseren S51 gefahren und haben mit dem armen, schüchternen Soldaten einen Schwatz gemacht. Schließlich könnten wir mehr oder weniger gut russisch. Als Eisbrecher zur Kommunikation diente immer der Tausch einer Schachtel F6 oder Club gegen eine Papiros-Zigarette für jeden von uns. Eine Papiros-Zigarette hat ei langes, papiernes Mundstück mit ein wenig schwerem Machorka-Tabak in der Spitze. Der Posten musste immer lachen, wenn er in unsere bleichen Gesichter nach dem ersten Zug an der Papiros-Zigarette sah, während er seine F6 genoss.

Mein Vater organisierte als Betriebsleiter regelmäßig Betriebs- und Brigadefeiern. Wenn dabei sowjetische Gäste anwesend waren, wurde die Veranstaltung aus dem K+S Fond der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) gesponsert. Deshalb rief mein Vater oft bei der nächsten Garnison in Mühlhausen oder Eisenach an, die dann ein paar Offiziere vorbeischickte. Die Offiziere nahmen am Ehrentisch Platz, man sprach sich gegenseitig Toasts zu und dann würde gegessen, gesoffen und getanzt. Die Soldaten, die draussen im UAS blieben, mussten dann ihre Offiziere in der Regel stockbesoffen abschleppen und in die Kaserne fahren.

Ähnlich ging es beim Besuch einer Delegation des sowjetischen Partnerbetriebs zu. Es ging hier nicht um Gewinner und Verlierer des Krieges oder Schuld usw. Übliche sozialistische Parolen wurden von beiden Seiten im Aussprechen der Toasts abgehakt und dann ging es nur ums Essen, Saufen und Tanzen. Ich habe als junger Mann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre meine Eltern häufig von Betriebs- und Brigadefeiern abgeholt. Ich beneide im Nachhinein die Generation meiner Eltern um ihre Lebensfreude in den 60er, 70er und 80er Jahren. Was waren die Menschen doch damals ausgelassen. Was wurden überall für rauschende Feste bis ins hinterste mecklenburgische Dorf hinein gefeiert. Das ist genau das, was viele Ex-DDR Bürger an der heutigen Zeit vermissen bzw. was ihnen als gute, alte Zeit rückblickend erscheint.

Wenn ich morgens 6.30 Uhr mit dem Bus nach Mühlhausen zur Schule fuhr, wurden die sowjetischen Rekruten beim Frühsport gestriezt. Bis 0 Grad war kurzes Sportzeug angesagt. Überhaupt waren die Lebensbedingungen der Soldaten erbärmlich. Auf dem Kasernengelände liefen zum Teil Schweine und Ziegen zur Eigenversorgung der Garnison herum. Mein Nachbar, der als Elektriker öfter bei den Russen arbeitete, nahm immer eine Tasche voll mit belegten Broten, selbst geschlachteter Wurst und Käse mit und gab sie den Soldaten.

Nicht nur die Ernährungssituation der Rekruten war miserabel, sondern auch der Umgang untereinander war häufig grausam. In der Sowjetarmee gab es eine ausgesprochene EK-Bewegung, wo die jüngeren Dienstjahre von den älteren Dienstjahren schikaniert, erniedrigt und zum Teil sexuell misshandelt würden. Das führte immer wieder zur Flucht von Rekruten aus der Kaserne. War dies der Fall, gab es eine Durchsage durch den Ortsfunk und wir Kinder dürften nicht mehr draussen spielen. Häufig versteckte sich der mit einer Kalaschnikow bewaffnete Soldat in einer Datsche. Da er als Deserteur galt, wartete auf ihn in der Regel die Todesstrafe. Er hatte also nichts mehr zu verlieren. Die Suche nach dem entflohenen wurde immer sowjetintern geklärt. Hubschrauber kreisten und Hundestaffeln würden eingesetzt. Nur selten wurde der Delinquent lebendig gefasst. Entweder würde er vom Spähtrupp erschossen oder er hat sich selbst gerichtet.

Zur Erntezeit waren die Sowjetsoldaten für die lokale LPG willkommene Erntehelfer. Ob sich die Sowjetarmee ihren Proviant in der DDR selbst erarbeiten müsste, weiss ich nicht. Jedenfalls nahmen ein paar Offiziere auch am Erntefest teil.

Ich kann mich auch noch an Witterungsunbilden in den 70ern und 80ern erinnern, wo die Sowjets uns mit schwerem Gerät geholfen haben. Es handelte sich hierbei um das Räumen der Straßen vom Schnee und das Beseitigen von Wind- und Schneebruch im Thüringer Wald.

Gruß Plancius

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Der Königsweg zu neuen Erkenntnissen ist nach wie vor der gesunde Menschenverstand.


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