Leserzuschrift von melethron: Physiker sind keine guten Metaphysiker

politicaleconomy, Donnerstag, 12.02.2015, 11:29 (vor 3958 Tagen) @ Mephistopheles4204 Views

Melethron hat mich gebeten, hier einen Beitrag von ihm zu posten:

Hey Mephistopheles,

Du musst bei dem Thema mit den Prämissen sehr aufpassen. Ich hab das selber trotz Philosophie background zuerst auch übersehen. Die zweite Prämisse von Bell ist "Realität"/"Objektivität". Das hört sich erstmal irgendwie vernünftig an, hat aber die Tücke der Kontrafaktischen Definitheit (Counterfactual definiteness) und man darf es nicht mit dem umgangsprachlichen Bedeutung von Objektivität verwechseln.

Realität impliziert die Willensfreiheit des Experimentators! Objektivität bzw Realität heißt: Es ist auch so, wenn ich nicht gemessen hätte. Im Falle eines Determinismus gilt das aber nicht! Es gibt diese Entscheidungsfreiheit bzw. das Kontrafaktische dann nicht. Es hätte ja dann gar nicht anders kommen können „smile“-Emoticon keine kontrafaktische Definitheit). Wenn schon von vornherein feststeht, dass der Physiker misst und was der Physiker misst ist die Prämisse der "Realität" eben nicht erfüllt. Denn die beiden Ereignisse sind nicht unabhänhig voneinander sondern hängen über eine gemeinsame Vergangenheit zusammen (und es hängt auch sonst alles mit allem zusammen)! In diesem Fall ist aber dann eine "verborgerne Variablen" Theorie nicht nur deterministisch, sonder auch lokal.

Bell selbst formuliert das so:

"There is a way to escape the inference of superluminal speeds and spooky action at a distance. But it involves absolute determinism in the universe, the complete absence of free will. Suppose the world is super-deterministic, with not just inanimate nature running on behind-the-scenes clockwork, but with our behavior, including our belief that we are free to choose to do one experiment rather than another, absolutely predetermined, including the "decision" by the experimenter to carry out one set of measurements rather than another, the difficulty disappears. There is no need for a faster than light signal to tell particle A what measurement has been carried out on particle B, because the universe, including particle A, already "knows" what that measurement, and its outcome, will be."

Vergleiche: http://l.facebook.com/l/uAQEofYVkAQFpywRG94PLQ1LTqqTSk45IjWcobRdQJGoehA/en.wikipedia.or... (daher hab ich aus das Bell Zitat UNGEPRÜFT übernommen, aber ich hatte das auch schon an andere Stelle gelesen). Übrigens war die letzten Jahre Gerardus 't Hooft der einzige (bedeutende) Physiker der eher Realität als Lokalität aufgeben würde. Er versuchte dazu auch eine Diskussion anzuzetteln (vgl. etwa stackexchange) http://l.facebook.com/l/TAQF154LxAQFM5p_Wiq1gXoMrKV9aeM7emO2XRub7OmMMHw/physics.stackex...

Auch wenn ich (damals) selber eher dazu tendierte Lokalität aufzugeben, fand ich die Unsachlichkeit mit der das Thema angegangen war erschreckend und war geneigt hier 't Hoofts Seite zu ergreifen, dass man die Frage wenigstens stellen muss und keine Frage vor einer GUT abschließend geklärt sind. Mir wurde damals klar wie leichtfertig Physiker mit metaphysischen Prämissen will Willensfreiheit umgehen (in dem Irrglauben unser Zeitalter sei frei von Metaphysik - vgl Quine: two dogmas of empirism).


Lässt man ich also die Willensfreiheit als "implizierte Prämisse" weg hat man also eine Bohmsche Mechanik (oder eben andere "hidden variable theory") die lokal (Einstein Kausalität) UND deterministisch ist. Und wenn man durch die richtige "quantum correction" quasi alle kosmologischen Probleme mit einem Wisch beseitigen kann, dann gibt es in der Physik (wie es aussieht) kaum mehr kontraintuitive Sachverhalte mehr (Kontraintuvität ist ein schwächeres Argument als Widerspruchsfreiheit).

Ich führe bis dato die "Willensfreiheit" (außschlieslich) axiomatisch (im Sinne von Kants "als ob") in meine Weltanschauung ein, aber ich bin Anbetracht dieser vielversprechenden Aussichten (das paper ist der Wahnsinn!) sofort und ohne mit der Wimper zu zucken bereit die Annahme der "Willensfreiheit" aufzugeben. Wenn Bohm, dann geb ich persönlich eher die Prämisse der Realität als die der Lokalität auf. Das erscheint mir konsistenter.

Es bleibt aber dann eine (philosophische) Frage für mich bestehen: Warum wir uns Freiheit bzw Kontrafaktisches denken können (ich halte nämlich Unfreiheit auch für "kontraintuitiv" und erkenntnis für dialektisch). Ich sehe hier die Möglichkeit Gedanken hauptsächlich von Spinoza, aber auch Schopenhauer und Hegel aufzugreifen (und evtl auch von Bohms eigener durch und durch dialektischen Philosophie - seine "impliziete Ordnung" hab ich leider immer noch nicht gelesen), aber das geht hier erstmal VIEL zu weit und hab ich hab das auch immer noch nicht gründlich durchdacht (wollte ich schon nach 't Hoofts Diskussion mal machen) und gerade hab ich auch leider nicht die Zeit und Muse dazu.

Ich bin auf jeden Fall saumäßig gespannt wie es dort in der Physik weiter geht. Wäre faszinierend wenn die Kopenhagener Deutung zugunsten Bohm aufgegeben wird.

Grüße
melethron


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