The economy, stupid!

Weiner, Dienstag, 12.11.2019, 14:45 (vor 1838 Tagen) @ Mephistopheles1667 Views

Hallo Mephisto,

Du schreibst

Geld steht auf der Aktivseite und Kapital auf
der Passivseite. So weit ist das richtig. Allerdings gibt es kein Kapital
ohne Geld. So weit ist das falsch.

Nach meiner Auffassung hat Geld mit Kapital (fast) nichts zu tun. Um eines Deiner spitzen Beispiele aufzugreifen: wenn Du eine Presse, einen Setzkasten, schwarze Farbe und Papier hast, dann hast Du ein Produktionsmittel, um Druckerzeugnisse herzustellen. Geld brauchst Du dazu nicht.

Kapital existiert
nur in Staaten, genauer genommen muss man sagen, nur in Rechtsstaaten.
Hört der Rechtsstaat auf zu existieren, so verschwindet gleichzeitig auch
das Kapital und mit ihm das Geld bzw. es wird wertlos.

Geld wird immer mal wieder ziemlich wertlos, aber das Kapital nicht, siehe die Druckerpresse. Kapital können auch Obstbäume sein oder Saatgut oder eine Wasserquelle oder kluge Köpfe. Und ja, man muss es schützen können. Dazu braucht es aber nicht zwingend einen Staat. Eher müsste man es vor dem Staat schützen ...

Es gibt keine Kleptokraten, da ist der Rechsstaaat vor. Allerdings
mutieren manchmal Rechtsstaaten zu Unrechtsstaaten

Gut, dass Du darauf gekommen bist! Dann solltest Du doch auch verstehen, dass das, was im einen Staat Recht ist, im Staat nebenan Unrecht sein kann. Womit die ganze Rechtssache ad Absurdum geführt ist. Eine Rechtsordnung kann Mittel (Instrumentum) eines Staatssystems sein, muss es aber nicht.

Historisch gesehen hatte der Staat bis zur Renaissance kaum Macht, sondern
die Macht lag bei denen, die sich Waffen leisten konnten.

Mir ist manchmal nicht klar, was Du unter "Staat" verstehst. Für mich ist es ein Begriff der Analyse, mit dem man versucht, zeitübergreifend ein soziales Phänomen abstrakt zu fassen und zu beschreiben. Staat war so gesehen früher etwa der Territorialherr, Machiavelli nennt ihn den Fürsten - und der hatte neben anderem auch die Waffen und den Oberbefehl. Wie Du das auseinander dividieren kannst, erschließt sich mir nicht.

Larry Fink ist ohne die Militärmacht der USA ein Nichts.

Und die Militärmacht der USA ist ein Nichts ohne Leute wie Larry Fink. Die US-Generäle, Offiziere und Soldaten sind so strunz doof, dass sie nicht einmal einen ordentlichen Krieg mehr gewinnen können. Und ihre Waffen können sie auch nicht selbst produzieren (wenn es überhaupt noch echte Waffen sind - inzwischen ist man sogar darauf gekommen, dass die ganzen neuen Flugzeugträger wertlos geworden sind). Vielmehr braucht das Militär eine strukturierte und technisierte Ökonomie, um überhaupt existieren zu können.

Du hast den CÄSAR zitiert. Ich weiß nicht, ob er am Ende graue Haare hatte. Aber wenn er sie hatte, dann hat er sie bekommen aus Sorge um die Fütterung und Ausrüstung seiner Legionäre - und keineswegs wegen den vielen Menschen, die er durch sie in den Tod schicken ließ. Du bist auch auf mein Argument nicht eingegangen, dass das Römische Reich an der wirtschaftlichen Unfähigkeit seiner militärischen Machthaber eingegangen ist. Das aber ist der zentrale Punkt.

Zuerst kommt die Ökonomie. Technik ist die Fortsetzung der Ökonomie mit besseren Mitteln. Politik ist die Fortsetzung der Ökonomie mit weiteren Mitteln. Und Militär bzw. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Ökonomie ist immer das Primäre, aus ihr differenzieren sich die anderen Organe oder Sphären des Staatssystems nachfolgend heraus. Wenn es keine Ökonomie gibt, können die anderen Organe des Staates erst gar nicht entstehen.

Gerne kannst Du jetzt kommen und sagen: der mit der Waffe in der Hand entscheidet alles. Nun, das funktioniert manchmal, aber nur ein paar Jahre lang - oder alsbald nur noch auf Steinzeitniveau. Aber ich gehe davon aus, dass wir darüber nicht zu diskutieren brauchen.

Ich weise immer wieder darauf hin, dass im historischen Prozess zwischenzeitlich die Wirtschaft über die rechtlich-politische sowie über die militärische Sphäre dominiert. Der Grund dafür ist hauptsächlich die Komplexität der gegenwärtigen wirtschaftlichen und technischen Systeme. Sie übersteigt die Hirnkapazität von Politikern und Militärs. Und auch den Gesichtskreis und Horizont eines Herrn Spengler.

Die Dominanz der Wirtschaftssphäre über die beiden (im Gesamtsystem durchaus wichtigen) Bruder-Sphären Politik und Militär deutet sich in der neueren Geschichte des Westens etwa seit dem Hochmittelalter an. Die Templer konnte der französische König noch einkassieren, und auch Venedig ist mitsamt seinem Arsenal den Gang der Geschichte gegangen. Ich sehe für den Westen den Anfang des neuen Prozesses in Florenz (Medici). Doch über die Details kann man gerne reden. Man müsste auch die "kolonialen Compagnien" hier mit einbeziehen, weit gefasst, also auch Aktivitäten wie die von Rhodes in Südafrika.

Die zwei wichtigsten Instrumente, die das im Bereich des Kapitals liegende Steuerzentrum inzwischen besitzt: (1) die Kontrolle über das Geldsystem und (2) die Kontrolle über das politische System. Im Falle des letzteren hat sich die so genannte "Demokratie" als die am besten geeignete Variante herausgestellt hat, um politische Herrschaft auszuüben. Denn die Demokratie verhüllt einerseits komplett die eigentlichen Machthaber und andererseits gibt sie diesen doch alle notwendigen Lenkungsmittel direkt in die Hand. Die Chinesen sind gerade dabei, eine Meritokratie zu entwickeln. Gab es schon öfter mal, zuletzt in Preußen. Totalitäre Systeme, so hat man gelernt, sind (wirtschaftlich gesehen sowie im politischen Wettberwerb) ziemlich ineffizient.

Was die Lenkung der Wirtschaft betrifft, so hat man erkannt, dass die Wirtschaft dann am besten läuft, wenn man die wirtschaftlichen Subjekte als relativ freie Schwärme agieren lässt (Wirtschaftsliberalismus). Wenn diese Schwärme dann ihre Pflicht getan und ihren Nutzen erbracht haben (Entwicklung von Technologien sowie Schaffung und Erschließung von Märkten), dann kann man sie mit leichter Hand wieder einfangen und zu Monopolen zusammenbinden.

Wer sich für das Verhältnis zwischen dem Militär und den übrigen Institutionen eines Staates interessiert, dem empfehle ich, einen Blick in die Geschichte der Condottieri zu werfen. Bei weiterem historischem Interesse mag er sich die unten angegebene Literatur anschauen. Für das volle Verständnis der gegenwärtigen Lage ist es nach meiner Auffassung nötig, die kapitalmäßigen, personellen und institutionellen Verflechtungen zwischen den modernen Militär- und Sicherheitsfirmen (PMC), ihren Lieferanten in der Industrie und ihren Partnern in der rechtlich-politischen Sphäre (u.a. auch in den Geheimdiensten) zu recherchieren. Dazu gibt es, verständlicherweise, keine Lehrbücher ... sondern das muss man weitgehend selbst zusammentragen.

Die Armeen des Westens sind nicht mehr autonom handlungsfähig (insofern liegt Macron mit seinem "Hirntod der NATO" eigentlich ganz richtig). Dagegen wie Eisenhower von einem militärisch-industriellen Komplex zu reden, ist ein Euphemismus oder ein Ablenkungsmanöver. Es handelt sich bei den gegenwärtigen Machtstrukturen vielmehr um Komplexe von Wirtschaftsführern (hier Geld und Finanzen eingeschlossen) mit Politikern und - erst an dritter Stelle! - mit Militärs bzw. Geheimdienstlern.

Gegenwärtig gibt es geopolitisch gesehen drei derartige Komplexe auf der Welt, den transatlantischen, den russischen und den chinesischen. Der transatlantische Komplex hat traditionelle, nun aber schwächer werdende Ausläufer in Richtung Lateinamerika, Afrika und Asien. Noch vor der Mitte dieses Jahrhunderts werden von diesen drei Komplexen nur noch zwei übrig sein, gegen Ende des Jahrhunderts wird es nur noch einen derartigen Komplex geben. Dies weniger wegen den Kriegen und Katastrophen, die bis dahin über die Menschheit kommen werden, sondern eher deswegen, weil die Wirtschaftsführer von zweien der Komplexe sich am Ende arrangieren werden. Die Betonung liegt auf Wirtschaftsführer, und ich meide den Begriff "Kapitalisten", damit niemand im Forum hier eine allergische Reaktion bekommt ...

Für die 9 Milliarden Schlafschafe der Zukunft wird man selbstverständlich ein paar Gatter stehen lassen - damit sie eine gewisse Orientierung haben. Vermutlich wird man ihnen auch, damit sie ihre Emotionen etwas leichter abreagieren können, ein paar der gewohnten Leithammel vom Typ Trump, Putin und Xi belassen, inklusive der Opposition gegen die Leithammel - damit es ihnen nicht langweilig wird und alle bei der Stange bleiben.

Zuerst die Ökonomie. Technik ist Ökonomie mit besseren Mitteln. Politik ist Ökonomie mit weiteren Mitteln. Militär und Krieg ist Politik mit anderen Mitteln.

Freundliche Grüße von dem Weiner

+++++++++Literaturempfehlungen+++++++++++++++++++++

(Vorgeschichte)

http://www.lda-lsa.de/aktuelles/meldung/datum/2015/11/26/der_begleitband_zur_sonderauss...

(mediterrane Antike)

Krieg Gesellschaft Institutionen, hrsg. von Burkhard Meißner et al.

<< Rezension hier: http://www.sehepunkte.de/2006/04/8250.html >>


(Brücke zur Neuzeit)

Coercion, capital, and European states : AD 990 - 1992 / Charles Tilly

War and the the modern great power system : 1495 - 1975 / Jack S. Levy

https://de.wikipedia.org/wiki/Condottiere

https://www.ucl.ac.uk/debt-politics/Working-Papers/20_Goenaga_Sabate_Teorell.pdf

(Aufsatzsammlung, siehe darin "The State does not live from warfare alone")

Google-Suche: "cycles of wars" "war cycles" "business cycles" etc.

Kurioses am Rande:

New Yorker Unternehmen verkauft mit gefälschtem Herkunftsnachweis Militärausrüstung chinesischer Herstellung an das Militär in den USA - darunter auch internetgängige Kameras und andere Kommunikationstechnologie ...

https://www.nbcnews.com/news/us-news/feds-raid-new-york-tech-firm-suspected-selling-chi...

ZITAT daraus: "Greed is at the heart of this scheme, a reprehensible motive when the subjects in this case allegedly put into question the security of men and women who don uniforms each day to protect our nation,” FBI Assistant Director-in-Charge William Sweeney said in a statement.


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