Ich bin Euro-Befürworter, und das ist auch gut so!
Heute vormittag war ich beim Sonntagsgottesdienst und muss erst mal meine Eindrücke verarbeiten. Letzte Woche hatte der Pfarrer ja in seiner Predigt über das schwere Los der Aktionäre angesichts der steigenden KGV's gesprochen.
Heute waren die Euro-Befürworter dran. „Auch die Kirche kann sich den irdischen Dingen manchmal nicht entziehen“, begann er seine Predigt. „In unseren Tagen ist so viel von Geld die Rede und so wenig von den inneren Werten.“ Innere Werte? Oh, dachte ich, kommt heute eine Goldbug-Rede, als Ausgleich für seine Shareholder-Predigt von letzter Woche?
Er fuhr dann fort: „So wie Jesus das Brot geteilt und den Armen davon gegeben hat, so sollt Ihr Eure Euros teilen mit den armen Ländern des Südens. Die Solidarität unserer Herzen ist ein unermesslicher Gewinn und übersteigt den Verlust an materiellem Reichtum bei weitem. Man hat uns gesagt, der Euro sei STARK, aber er ist schwach. Lasset nicht die Hoffnung fahren und schaut in die Seelen Eurer Brüder und Schwestern in Europa. Nur das zählt. Nur gemeinsam sind wir stark.“ Lagarde, steh uns bei, dachte ich. Wenn selbst die Kirche kaum noch Hoffnung für den Euro hat, dann kann uns nur eine Zentralbankerin noch helfen.
Er legte dann eine Fürbitte für Angela Merkel und ihre Entourage ein, denn auch die Politiker leiden derzeit schwer. „Unsere Kanzlerin“, begann er, „war einst selbst eine Pfarrerstochter und wollte nur das Beste für sich und für uns. Jetzt ist sie in großer seelischer Not, denn sie soll die deutschen Sparer retten und weiß, dass dies unmöglich ist.“
Wir beteten nun das große Euro-Unser, aber nur wenige beteten mit: „Gelobt sei der Euro, sein Reich bleibe, denn er ist der Segen für unsere Exporte auf Erden … unseren täglichen Kredit gib uns heute … sehet den Schweizer Franken, dessen Glanz verglühte durch seine Stärke, denn die Ersten werden die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein … blah blah … so gib unserer Kanzlerin die Kraft und die Herrlichkeit das Werk Europas zusammen mit Macron und Lagarde zu vollenden … und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Gedanken an Gold und Silber, denn Dein ist das Reich des wahren Geldes … Amen.
Nach der Messe blieb ich noch einen Moment sitzen, um mich zu sammeln und meine Eindrücke zu verarbeiten.
Als die Kirche bereits leer war, ging ich hinaus und kam dabei am Pfarrhaus vorbei. Das Fenster war gekippt, die Stores zugezogen, nur ein kleiner Spalt war offen. Ich hörte die Stimme des Pfarrers und die seines jungen Messdieners. Ich ging näher heran und lauschte. „Der geht ja steil nach oben“, sagte der Messdiener, „der geht ja richtig ab“. „Ja“, erwiderte der Pfarrer, „lass ihn schön kommen“. Ich erstarrte. Sollte auch dieser Ministrant ein Opfer der Kirche …?
Ich ging näher an das Fenster und konnte die beiden durch den Gardinenspalt von hinten sehen. Sie standen vor einem Stehpult, dicht beieinander, mir abgewandt, ich sah von hinten nur ihre Röcke. Da trat der Pfarrer einen Schritt zur Seite, und der Blick auf einen Laptop wurde frei. Ich presste mein Opernglas, das ich für solche Fälle immer dabei habe, an die Scheibe, denn ich hatte die verdammte Pflicht, diesem Treiben gegebenenfalls ein Ende zu setzen. Der Laptop war eingeschaltet. Auf dem Monitor befand sich … ein Chart! Es war der Goldchart.
Das war es also. Noch letzte Woche hatte ich gedacht, der Pfarrer sei ein Aktiensparer aus Alternativlosigkeit und sammle heimlich Value-, Momentum- und Minimum-Volatility-Aktien ein, und nun dies. Und seinen Messdiener hatte er auch schon hierzu verführt. Sie paktieren mit dem Golde. Solidarität mit den Südländern predigen und heimlich das Gold anbeten und kaufen, pah, wie widerlich, dachte ich. Das ist ja wie Wasser predigen und Wein trinken.
Nein, ich bleibe sauber. Ich bleibe politisch korrekt. Ich bin für Exporte. Ich bin für Anleihenkäufe, Bankenunion, Negativzinsen und wenn nötig für die heiligen Helikopter. Wie es sich gehört.
Ich bin Euro-Befürworter, und das ist auch gut so!
Gruß
Stagflati