Bericht aus Kreta - Eindrücke zum Vorgehen Tsipras' nach dem Referendum
Zunächst einmal ein herzliches Danke an Gaby, die mit ihren Berichten aus (Nord-)Griechenland dieses Forum sehr bereichert!
Hiermit möchte ich meinen kleinen Beitrag leisten:
Zwei Wochen vor dem Referndum war alles so wie im Vorjahr. Der innergriechische Tourismus war vorhanden, zwar deutlich sichtbar geschwächt, aber nicht vollends ausgeblieben. Die ausländischen Touristen machten etwa 30% aus. Laut Statistik von den beiden (Haupt-)Flughäfen war die Zahl der Ankünfte gleichgeblieben, während insbesondere die zweitgröße Stadt Chania wieder mal ein Rekordjahr erlebt. Im dritten Jahr in Folge erfreut sich die Hafenstadt größter Beliebtheit bei ausländischen Gästen.
In der Woche vor dem Referendum war dieses das all beherrschende Thema. Alle wollten ihre Meinung teilen und anderen lauschen. Nicht gar wenige waren unentschlossen und zu Beginn stellte sich die Frage, worüber genau abgestimmt werden sollte. Über einen Verbleib im Euro, einen Verbleib in der EU gar oder "lediglich" den konkreten Vorschlag der Troika. Immer wieder wurde auf die bedeutende, strategische Rolle Griechenlands im Mittelmeerraum hingewiesen; die Bedrohung der europäischen Partner und der USA, bei einem Zuwenden zu Russland. Man könne Griechenland doch gar nicht fallen lassen. Gleichzeitig waren die Einschnitte wegen der hohen Arbeitslosigkeit, der Gehalts- und Rentenkürzungen bereits sehr schmerzhaft. Zu weiteren Einschnitten sind viele nicht mehr bereit. Der Wahlsieg der SYRIZA nur folgerichtig.
Am meisten getroffen wurden die Menschen durch die Einschnitte der Geldautomaten und Beschränkung auf 60 €. Auf Kreta funktionierten ausländische Kreditkarten allerdings ohne Beschränkung. Die Geschichten vom weinenden Rentner, der seiner kranken Frau die Medikamente nicht mehr kaufen konnte und der alten Dame (Witwe?), die 20 € für Taxikosten aufwenden müsse, um zum Schalter zu gelangen, machten die Runde. Tatsächlich haben immer noch einige ihr Geld nicht abgeholt (selbst schuld...?!) und viele keine EC/Kreditkarte. Unter der Woche öffneten die Banken kurz, somit konnten Rentner (in der Bank) 120 € abholen.
In den Supermärkten gab es keinerlei Engpässe. Auch die Tankstellen liefen wie gewohnt.
Letztlich herrschte Einigkeit, dass über den Vorschlag der Troika abgestimmt werden sollte. Einzeln wurden JA-Votierende als Deutschkollaborierende bezeichnet (Schimpfwort aus WK II). Der Stolz und Jubel über das Nein, welches im Bezirk Chania mit fast 74% am höchsten und in Iraklio mit fast 71% am vierthöchsten in ganz Griechenland ausfiel, überwog. Teilweise kam es zu spontanen Feiern. Die vermeintlich geringe Wahlbeteiligung lässt sich u.a. auf das griechische Wahlsystem zurückführen, wonach man nur an einem bestimmten Ort (meist "Herkunftsort") wählen kann (Änderung möglich, aber oft nicht genutzt) - Briefwahl gibt es nicht.
Der Rücktritt Varoufakis' kam für viele unerwartet. Das Vertrauen in ihn war in den letzten Monaten gewachsen. Die "Kehrtwende" Tsipras' durch das Angebot Griechenlands wurde so aufgenommen (natürlich nur einzelne Stimmen aus der Bevölkerung), wie im DGF bereits gemutmaßt worden war: Zunächst wurden die vermeintlichen Vorteile des Programms gegenüber dem Vorschlag der Troika hervorgehoben. Das Volk hätte mit der Abstimmung alles in seiner Macht liegende getan und Tsipras konnte wohl erfolgreich verkaufen, die Lage hätte sich in der einen Woche stark verändert, mehr sei nicht herauszuholen.
Für mich überraschend überwog statt der Wut die Enttäuschung über Tsipras.
Soweit aus Kreta & Griechenland.