[Wer dem folgenden Text tieferes Verstaendnis abgewinnen will, sollte den Links folgen; ich verlinke nichts "von ungefaehr". Es sind Bezugnahmen, ohne die der Text unnoetig aufgeblaeht wuerde. "Unnoetig" deshalb – weil es woanders bereits gesagt wurde. Dennoch ist der Text natuerlich aus sich heraus verstaendlich – aber vor einer Tiefendiskussion: bitte mehr Zeit investieren! – Ich nahm sie mir ebenso.]
Hallo Gaby,
ich kann verstehen, dass Dich wurmt, wenn lauter "Griechenland-Versteher" und –Basher was Gelbes ablassen, was Du aus Deinen Kenntnissen vor Ort anders (und daher meist besser) beurteilen kannst. Und dass Du mich, ob diesem hier, darunter einreihest.
Nur: Du solltest wissen, dass ich Griechenland vermutlich naeher verwandt bin als Du (und wenn ich einen Begriff, z.B. verwandt, und nicht verschwaegert, verwende, dann in der Regel in des Wortes ureigenster Bedeutung – anders als andere hier mit Begriffen Schindluder zu treiben pflegen). Mehr muss ich nicht sagen, dann koennten wir gleich die Klarnamenpflicht einfuehren.
Daher fuehle ich in der griechischen Tragoedie (Oder: "Griechenthum und Pessimismus"!) auch etwas intensiver mit, als all die, die meinen, hier werde Sophokles im Stadttheater aufgefuehrt und sie haetten halt, auch wenn sie lieber Macbeth gesehen haetten (oder "Les Miserables"), ein Abonnement.
Bevor ich naeher darauf eingehe, und auf meine Motivation(en) hinsichtlich griechischer Themen, einmal grundsaetzlich meine five cents zu griechischer Bildung und Kultur:
Ich strandete mal in Augsburg in einer –wie ich erst jedenfalls dachte- Kaschemme. Das fuer mein Beratungsprojekt gebuchte Hotel war ueberbelegt und der Hotelchef suchte mir dann, von seiner Angestellten "Buchungskuensten" etwas peinlich beruehrt, ein Ausweichquartier. Das war "ein Grieche", d.h. eine griechische Gastwirtschaft, die gleichzeitig eine Art "Bed and Breakfast" fuer (meist griechische) Gastarbeiter auf Montage und die ueblichen drittklassigen Handelsvertreter anbot.
Nun bezog ich also mein Zimmer und aufgrd. meiner schon eingangs genannten Affinitaet "zum Griechen" ging ich dann im Verlauf des Abends "nach unten" in die Gaststube, nahm an einem Einzeltisch Platz und bestellte so das uebliche.
Da ich, anders als andere Gaeste, die ja i.d.R. als Paerchen oder Gruppen aufzutreten pflegten, alleine war, fing der Wirt ab und zu ein halbherziges Gespraech waehrend des Auf- und Abtragens mit mir an. Und aufgrd. meiner eingangs erwaehnten naeheren Beziehung zu seinem Heimatlande (und ein paar wenigen Brocken Griechisch) ergab es sich "irgendwie", dass er um ca. 12:00 nachts sein Lokal hinter dem letzten Gast zusperrte, sich zu mir setzte, mit einer Flasche Samos (den geharzten Wein mag ich nicht so) und wir ins Gespraech kamen.
Nun war das kein "Studierter", aber "Facharbeiter-Niveau" duerfte er schon gehabt haben, aber "mehr" halt nicht. Und jetzt kommt's: relativ uebergangslos landeten wir bei Diskussionen ueber Plato und Aristoteles, Alexander dem Grossen und den Diadochen und wie es wohl alles "so kam, wie es kommt und heute so ist". Nachts um drei war unser beider Bettschwere nicht mehr zu leugnen und naechstentags war ich dann leider schon wieder in dem vorgenannten, vom Auftraggeber angemieteten, Hotel untergebracht. Sonst haette ich diese Gespraeche gerne fortgesetzt. [Anm.: Damals war Griechenland noch nicht "im Euro".]
Das mit dem Aristoteles hielt ich fuer einen Ausreisser – bis es mir noch ca. dreimal mit griechischen Bauern oder Arbeitern begegnete. Nun reicht das zwar nicht fuer eine Statistik, aber umgekehrt schon: ich habe in meinen ganzen Jahrzehnten keinen einzigen deutschen Arbeiter oder Bauern oder Kneipenwirt getroffen, der seinerseits etwa mit den Namen Kant oder Schelling viel anfangen haette koennen (ja, mit Hegel schon, weil Marx ihn erwaehnt und der Arbeiter im Arbeiterbildungsverein mal was davon hat laeuten hoeren; das hat aber mit "Kultur" nicht gar soviel zu tun)! So gesehen halte ich "die" Griechen fuer ein "anders" gebildetes Volk, jedenfalls was ihr kulturelles Erbe anbetrifft, als das (heutige) deutsche.
Dies alles vorausgeschickt: der Kontrast zum Griechenland heute und dem frueheren ist frappierend. Dass in Aegypten, trotz, wie Akropolis etc., weithin sichtbaren Relikten wie den Pyramiden, keiner mehr die Hieroglyphen lesen kann und man von einem Fellachen oder Basar-Haendler nicht erwartet, er kenne die pharaonischen Reiche, ist quasi selbstverstaendlich.
Aber, mit etwas (viel) Muehe kann "ein" Grieche halt sein kulturelles Erbe noch entziffern. "Der" Deutsche scheitert aber schon klaeglich am Nibelungenlied. In Fraktur gedruckt ist es heutzutage gleich ganz aus.
Das heisst: trotz der wahrnehmbaren Verwurzelung vieler Griechen in ihrer eigenen Geschichte kommt es zu Zustaenden, wie dottore sie (m.E. zurecht) geisselt.
Und daher glaube ich, dass, wer mittlerweile einem Varoufakis huldigt, wie andere einem Chavez (was wiederum arg an den Stalinschen Personenkult gemahnt), nicht wirklich den Schuss gehoert hat.
Varoufakis haelt "sein" Griechenland fuer so viril wie Mussolini sein "Neues Rom". Und genauso wird er scheitern. Und ggf. auch physisch ebenso, wie ich hier angedeutet hatte.
Die griechische Wirtschaft, wie ich sie kennengelernt habe, funktionierte nach einem geradezu famosen "Recycling-Prinzip": der Beamte kassierte sein "Gehalt" und bestellte seinen Acker (ja, nicht alle sind Beamte - aber jeder waere es gerne!). Das wirkt in etwa so, wie EU-Subventionen in der restlichen Landwirtschaft: es verhindert strukturelle Anpassungen. Die Satire daran ist, dass ebenderselbe Beamte einen Teil des Geldes wiederum abzweigen muss, um jemanden zu schmieren, damit sein Haus oder Hof an das Wasser- oder Abwasser- oder Telefon- oder Stromnetz angeschlossen wird.
Ich rede hier nicht von theoretischen Aussenansichten. Ich sass, und da hast Du, Gaby, Fakten, die Dir geographisch nahe genug liegen, um zu verifizieren, ob ich Innenansicht beanspruchen darf: ich sass z.B. auf der Ignathia Othos in Thessaloniki stundenlang mit Anwaeltin und Notar zusammen, um Dinge fuer jemanden regeln zu helfen, von denen Olivias Freundin hier ein Lied singen kann.
Das funktioniert, oder funktioniert(e) in Grechenland naemlich so: ob im Grundbuch richtig eingetragen oder nicht: jemand erwirbt oder erbt ein Grundstueck. Z.B. an einem malerischen Strande. Nun will er dort ein Haus bauen, etwa fuer seine Kinder, als Alterssitz oder als Touristen-Bungalows mit Strandblick.
Baugenehmigung kann man zwar beantragen – aber mit oder ohne Genehmigung: das Haus wird in jedem Fall gebaut. Und wenn die Genehmigung jemals kommt, steht da "irgendwas anderes" drin, als der konkreten Bausubstanz entspricht (notabene: es ist ja evtl. noch nicht mal das Grundbuch berichtigt!). Auch hier habe ich schon leise angedeutet, wie das dann aussieht (fuer jemanden, der deutsche Standards gewohnt ist).
Damit man keinen Baustopp bekommt, muss natuerlich die Bauaufsicht geschmiert werden. Jetzt kommt der Wasseranschluss. Da muss natuerlich etwas nachgeholfen werden. Fuer nicht genehmigte Haeuser in nicht erschlossenen (!!!) Baugebieten ist in der Regel ja gar kein Wassernetz vorgesehen ... Ach ja, Abwasser koennte man auch noch brauchen. Wie war das mit Strom und Telefon? Gas – dann doch lieber Flaschen, nich'?
(Daher hier mein kleiner Seitenhieb neulich)
Das alles funktioniert ja noch "irgendwie". Aber wo spaetestens "der" Deutsche nicht mehr mitkommt, ist: ohne vorgaengige Stadtplanung sind ja alle Netze nicht ausgelegt fuer die spaeter beanspruchten Anschlusswerte der Schwarzbauten! Da steht dann schon mal die K*cke im Klo – weil, nachdem der naechste (und der naechste, und der naechste) Nachbar seinen Schwarzbau angeschlossen (bekommen) hat, kann ein Abwassernetz, das fuer solche Geisterhaeuser ja gar nicht ausgelegt ist, nicht mehr ausreichen.
Denn: dieses Netz ist erstaunlicherweise so projektiert worden, wie der Flaechennutzungs-Plan es vorsieht: da stehen an der Stelle gar keine Haeuser. Folglich werden sie beim Rohrquerschnitt auch nicht beruecksichtigt. Und das ist spaeter auch mit noch so viel Schmiergeld nicht mehr zu aendern. Da kommt dann eher ein Minister (der das nie lange genug ueberlebt) und reisst alle "Schwarzbauten" wieder ab.
Das ist ein nur kleiner Splitter zum besseren Verstaendnis der Funktions(un)faehigkeit griechischer wirtschaftlicher Verhaeltnisse. Immer, wenn ich dachte "das gibt's gar nicht" – der Toyota-Werbespruch "Nichts ist unmoeglich" – den haben die schamlos den Griechen geklaut! Ich sage noch einmal: wer seinen Fuss ueber die Grenze in die, alles in allem, recht teutonischen Niederlande setzt, wird schon einen Kulturschock erleiden. Aber Griechenland ist nochmal eine ganz andere Nummer. Und dann ein Geschmeiss aus Bruessel mit dem griechischen Terminus "Troika" zu bezeichnen – das ist der Hohn in Buechsen!
Wer es etwas genauer wissen will (als in Blogs von Leuten, die Griechenland auch mehr von aussen als von innen kennen, so, wie auch die Papandreous), der schaue sich Alexis Sorbas und Rembetiko an. Das ist die Leinwand, auf der die heutigen Hirngespinste mittels Europaeischer Entwicklungbank gemalt werden.
Als Anwar-al-Sadat in einer Palastrevolte von Soldaten des eigenen Leibregiments erschossen wurde, rief der eine Schuetze: "Ich habe den Pharao getoetet".
Mir will scheinen, die, s.o., in ihrer Kultur eher mehr als der zeitgenoessische Aegypter verwurzelten Griechen glauben, mit Varoufakis sei ihnen nicht nur ein neuer Alexander der Grosse erschienen, der den gordischen Knoten einfach so entzwei haut. Nein, mehr noch, der Varoufakis muss ob seiner Intelligenz und Denkerstirn gleich noch den Perikles doubeln. Was Griechenland vergisst, ist, dass das mit beiden kein gutes Ende nahm. Und dass es von da ab bergab ging. Und dass, wie Tainter sagt, das byzantinische Reich schliesslich nur deshalb so lange gegen den islamischen Ansturm durchhielt, weil es, nach anfaenglicher sprichwoertlicher (byzantinisch!) Verschwendungssucht, eine strenge Austeritaetspolitik verfolgte. Gegen den Bruesseler Ansturm aber hat es nichts entgegenzusetzen, weil, famoses griechisches Sprichwort, keine Stadtmauer so hoch ist, dass ein mit Gold (schwerst) beladener Esel sie nicht uebersteigen koenne. Entweder das, oder das trojanische Pferd. Die Griechen haben eigentlich saemtliche Elemente beisammen, um sich ein realistisches Tarot zu legen ...
Das griechische Dilemma ist nicht damit zu loesen, Spieltheorie anzuwenden, wo gesunder Menschenverstand ausreicht. Ebensowenig, wie die Zelebration von Messen in der Hagia Sophia den Verfall damals aufhalten konnte. Die Hagia Sophia hat immerhin durch Umwidmung Hausherrn gefunden, die sich "liebevoll" um ihren Erhalt kuemmern (Umbau eingeschlossen – so, wie das "europaeische Haus" uns allen ja auch Stuckverzierungen aufzwingt, die wir freiwillig nie bestellt haetten). Der Akropolis oder Delphi war dieses konservatorische Schicksal nicht beschieden ... Was bestimmt nichts heissen muss.
Griechenland ist eine eigene Kultur im guten wie im schlechten Sinne. Das gilt fuer die Ungarn mit ihrer nicht-indoeuropaeischen Sprache genauso. Ich bin mir sicher, beim Zerfleddern Jugoslawiens waren ebenso Spieltheoretiker unterwegs wie heute bei der "Loesung" der EU-Probleme. Denn: Spieltheoretiker sind die grossen "Gurus" hinter den "Think Tanks", deren lange Schatten immer wieder sichtbar werden, wenn es irgendwo auf der Welt zu kokeln anfaengt ...
Das europaeische Projekt ist gescheitert. Wenn der Euro quasi der Schlussstein gewesen sein sollte, so sollte sich jeder mit der Statik von Kuppelgewoelben vertraut machen. Und moeglichst nicht unter schwebende Lasten treten. Denn es gibt sie noch, diese Naturgesetze. Die machen auch vor Spieltheoretikern nicht halt.
Und ich schreibe das deswegen, weil, aus welchem Grunde auch immer, Katastrophen oft eintreten, nachdem ich sie vorgeahnt habe. Und ungefaehr so, wie ich sie vorahne. Bei den Atom(kraftwerks)katastrophen ging es bisher noch glimpflich ab – es hat jeweils ein paar tausend km Abstand gehalten. Bruessel aber ist ueberall und die Schlafwandler tanzen auf dem Vulkan und meinen jeder, sie koennten die Bank sprengen und sich ungestraft mit dem Hauptgewinn davonmachen.
Die ungradzahligen Weltkriege scheinen immer ihren Ausgang zu nehmen vom Boden eines Volkes, das einer orthodoxen Kirche angehoert und ein anderes Alphabet verwendet, als der Rest Europas.
Die geradzahligen Weltkriege scheinen immer mit dem Ueberfall auf ein slawisches Volk zu beginnen.
Und "I" plus "II" ergibt bekanntlich "III", nicht wahr?
Nur so meine Gedanken.
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Mit 40 DM pro Kopf begann die Marktwirtschaft, mit 400.000 Euro Schulden pro Kopf wird sie enden.
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