Die Ablehnung des Fremden - eine naturwissenschaftliche Betrachtung

Kaltmeister ⌂, Freitag, 02.01.2015, 18:32 (vor 3405 Tagen)4884 Views

Ich habe irgendwo weiter unten gelesen, dass es an alternativen wissenschaftlichen Gesellschaftsentwürfen mangelt - die meisten Menschen akzeptieren unser politisches System, weil es ihnen "alternativlos" erscheint. Ich will daher kurz skizzieren, dass man auch anders denken kann, als der politische und mediale Mainstream:

Warum gehen montags so viele Menschen auf die Straße, um im Namen der Pegida gegen eine "Islamisierung des Abendlandes" zu demonstrieren? Geht es denen wirklich in erster Linie um kulturell-religiöse Fragen, wie der Name der Bewegung vermuten lässt, oder sind solche Motive z.T. vorgeschoben? Es gehört zu den durchgesetzten zentralen Tabus "westlicher" Werteordnungen, in Bezug auf den Menschen niemals biologisch zu argumentieren, und bis heute wird dieses Tabu weitgehend eingehalten. Wehren sich die Menschen gegen biologische Überfremdung, ohne es öffentlich - ja vielleicht nicht einmal sich selbst - einzugestehen?
Die westlichen Werte, in erster Linie Pluralismus und Individualismus, dazu die defensive Verteidigung der Rechte aller Menschen, unabhängig ihrer Herkunft oder sonstiger Attribute, sind nach der Vorstellung westlicher Eliten schon als "natürliches Recht" angelegt, oder, das ist die alternative Lesart, ergeben sich zwangsläufig durch Anwendung der menschlichen Vernunft.

Gegen den ersten Punkt wäre einzuwenden, dass es offenbar auch andere Formen natürlichen Rechtes geben muss, denn in der Geschichte der Menschheit waren die westlichen Werte die meiste Zeit nicht sonderlich populär. Und über die zweite Variante lässt sich sagen, dass sie durch die Erkenntnisse der Hirnforschung der vergangenen 15 Jahre gewissermaßen überholt ist; wenn die Naturwissenschaft sagt, dass es keinen "freien Willen" in dem Sinne gibt, dass wir aus eigener Initiative die Determinierung unserer Gedankengänge überwinden könnten, dann ist es auch sinnlos anzunehmen, wir könnten uns eine Werteordnung ohne Bezugspunkt, allein durch Anwendung der Vernunft geben. Denn nicht die rationale, kausale Erwägung ist die Grundlage unserer Entscheidungen, wie man bis vor etwa 10 Jahren unerschütterlich glaubte, sondern, so das neue naturwissenschaftliche Bild, die Entscheidung kommt zuerst, der Grund wird vom Gehirn nachgeliefert. Das Gehirn entscheidet in einem vorgelagerten, unbewussten Prozess und gibt sich im Nachhinein eine Rechtfertigung für seine Entscheidung. Dieser nachgelieferte Zusammenhang kann richtig oder falsch sein. Daher können wir unser Wertesystem nicht allein auf die Vernunft, gewissermaßen auf das scharfe Nachdenken gründen.
Die Anwendung einer naturwissenschaftlichen Methodik legt es vielmehr nahe anzunehmen, dass sich die Anlagen für unterschiedliche Wertevorstellungen evolutionär entwickelt haben und sich dann jeweils kulturell ausformen.

Wenn wir verstehen wollen, welche Anlagen das sind, müssen wir uns mit Soziobiologie beschäftigen. Soziobiologie ist die Lehre des tierischen oder menschlichen Sozialverhaltens, also des Verhaltens in Gemeinschaft oder Gesellschaft. Wenn wir die biologische Evolution betrachten, stellen wir fest, dass die einzelnen Individuen einem unerklärten Wettbewerb ausgesetzt scheinen, in dem sie sich behaupten (Nachkommen haben) oder nicht behaupten. Nur wer Nachkommen hat, schafft es in die nächste Runde, und so erscheint es, dass jedes Individuum den Erfolg des eigenen Bauplans, also der eigenen Gene, anstrebt. (Ich schreibe "es scheint", weil es sich ja um eine vermenschlichende Betrachtungsweise handelt - tatsächlich ist dieses erfolgreich-sein-Wollen kein dem Lebewesen innewohnender Antrieb, es vollzieht sich einfach ein Naturgesetz.)
In der Gemeinschaft von Verwandten - Familie, Sippe u.ä. - wird nun ein zusätzlicher Effekt wirksam: Die einzelnen Glieder der Gemeinschaft teilen ja zahlreiche Gene, so dass sie nicht nur den eigenen Erfolg, sondern auch den der anderen Glieder anstreben. Nicht der individuelle Erfolg ist das Maß der Dinge, sondern der Erfolg der einzelnen Gene: das ist die Botschaft der Soziobiologie, wie Wilson oder Dawkins sie formuliert haben. So wird eine Gruppe von "Verwandten" eine viel größere Bereitschaft zum Verzicht, zu altruistischem Verhalten aufbringen als eine zusammengewürfelte "Gesellschaft" von Fremden: man spricht hier von "biologischem Altruismus" oder "Verwandtenselektion". Sie wird auch ein Interesse daran haben, ein hohes Maß an Homogenität aufrechtzuerhalten, weil auf diese Weise eine gegenseitige Verlässlichkeit entsteht: der eine gönnt dem anderen den Erfolg, und alle gemeinsam streben nach dem Erfolg der ganzen Gruppe.
Dagegen wird in einer Gruppe von Fremden jeder nur den eigenen Vorteil suchen, hier wird der "Mensch dem Menschen zum Wolf", wie Hobbes das einmal formulierte. Auch hier gibt es einen - allerdings schwächeren - Mechanismus, der das Sozialverhalten reguliert, den sogenannten "reziproken Altruismus": man verzichtet zum Vorteil eines anderen in der Hoffnung, dass der sich bei Gelegenheit revanchiert; leider kann man sich darauf aber nicht verlassen.

Abstrakt zugespitzt gibt es also zwei Varianten menschlichen Zusammenlebens, die Gemeinschaft von Verwandten (typisch für alle archaischen Gesellschaften, es gibt aber auch moderne Ansätze) und das Zusammenleben nichtverwandter Individuen (hier ist die westliche Gesellschaft ein typischer Fall). Da die erste Variante ein harmonischeres und erfolgreicheres Zusammenleben ermöglicht, werden sich die meisten Gruppen intuitiv gegen ethnische Heterogenisierung, also Überfremdung wehren.
Professor Hölldobler zählt zu den führenden Soziobiologen, er hat sich in diesem leicht verständlichen Vortrag mit der Thematik beschäftigt:


Die evolutionsbiologischen Grundlagen der Xenophobie


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